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Verhandlungstraining im Alltag oder „Wie isst man einen Elefanten?“

Wie isst man einen Elefanten? Stück für Stück.

In meinen Verhandlungstrainings wird eine Vielzahl an neuem, taktischem und psychologischem Wissen vermittelt. Doch trotz der Einbettung in Geschichten (Storytelling), das Üben in Simulationen und didaktischer Integrationsübungen, muss das gelernte Wissen noch verfestigt werden. Und dazu gehört das beständige Tun. Angesichts einer gewaltigen Aufgabe – eines bevorstehenden Marathons, einer komplexen Verhandlung, eines schwierigen Konfliktes oder einer Firmengründung – fühlen wir uns oft ängstlich, erstarren und stoppen, bevor wir beginnen. Spezialeinheiten, wie die deutschen Kampfschwimmer, die englische SAS, oder die amerikanischen SEALs, bieten eine Lösung: die Segmentierung. Teilen Sie den Elefanten langsam in ordentlich verdauliche Teile auf und… Nun, haben Sie die Idee.

Nehmen Sie Ihre Herausforderung Schritt für Schritt an. Integrieren Sie das gelernte Wissen in Alltagssituationen. Das sind die einzelnen Stücke.

Sie werden viele Ultra-Marathonläufer und Triathleten sehen, die dies ebenfalls tun. Sie konzentrieren sich auf das nächste unmittelbare Ziel – den nächsten Fixpunkt am Horizont – und verhindern, dass ihre Gedanken auf die gesamte Herausforderung übertragen werden. Ein Vorgehen, das auch erfolgreiche Verhandler in ihrer Ausbildung einsetzen. Wenn sie alle 130 sprachlichen und operativen Taktiken des F.I.R.E. Business Negotiation Systems ® auf einmal lernen und anwenden wollen, würden sie verzweifeln. Unterteilen Sie die gelernten Taktiken in unmittelbare, mundgerechte Ziele und konzentrieren Sie sich nur darauf, einen nach dem anderen abzuschließen. Vermeiden Sie, das große Ganze zu betrachten.

Verlassen Sie die Komfortzone

Es gibt eine Gemeinsamkeit, die alle erfahrenen und erfolgreichen Verhandlungsführer teilen: Sie treffen bewusst die Entscheidung, in ihrem täglichen Leben zu verhandeln und sich auszuprobieren. Sie haben keine Scheu vor Verhandlungen und suchen in ihrem täglichen Lebensumfeld Gelegenheit, sich zu verbessern. Sie schwitzen lieber im Training, als in im Verhandlungseinsatz zu „bluten“ (natürlich nur im metaphorischen Sinne). Es mag einfach klingen, aber die Entscheidung, in tagtäglichen Lebenssituationen zu verhandeln, erfordert das Verlassen der Komfortzone. Das ist in der Realität unbequem. Wenn Sie sich entscheiden, zu verhandeln, riskieren Sie – unabhängig von Ihrem Alter, Ihrer Intelligenz oder Ihrem Erfahrungsniveau – komisch oder unbeholfen zu wirken. Verhandeln zu wählen bedeutet auch, sich dafür zu entscheiden, präsent zu sein, Ihre Aufmerksamkeit zu fokussieren und bewusst auf Ihre Umgebung und Ihr Gegenüber einzugehen. All dies kann schwierig sein, wenn Sie sich müde fühlen oder sich einfach nicht vor eine weitere Herausforderung stellen wollen.

Wenn Sie diesen inneren „Schweinehund“ jedoch überwinden, warten auf sie große Vorteile. Auch wenn Sie nicht zu 100% das erreichen, was Sie sich vorgenommen haben, schärfen Sie die Klinge Ihres Verhandlungswissens jedes Mal, wenn Sie üben. Sie erfahren, was Ihrer Strategie fehlt, verstehen, wie unterschiedliche Verhandlungstechniken in unterschiedlichen Situationen funktionieren (oder nicht funktionieren), sie lernen mit unterschiedlichsten Persönlichkeitsstilen umzugehen und finden heraus, wie Sie eine immer größere Flexibilität erreichen, um jede Verhandlungssituation zu managen. Zusätzlich wird es Ihren Geldbeutel mit einem satten Plus versehen. Denn mit nichts kann man in so kurzer Zeit so viel gewinnen oder auch liegen lassen, wie mit Verhandlungen.

Kleidung und Elektronik kaufen

Ich weiß, was Sie denken: Sie können nicht einfach um Ihren Anzug, Ihre Tasche/Handtasche oder Ihr neues Smartphone feilschen wie auf einem Flohmarkt. Es gibt Regeln und Standards, und einige Dinge stehen einfach nicht zur Verhandlung zur Verfügung. Außerdem, was soll der/die Verkäufer/in über uns denken? Dass wir uns das Produkt nicht leisten können? Dass wir mehr sein wollen als unser Geldbeutel hergibt? Dass wir ihm die Zeit stehlen und er/sie ohnehin keinen Nachlass gewähren darf?

Wir fühlen uns abhängig von unserem Gegenüber! Und unsere Gedanken verstärken diese Abhängigkeit noch. Verhandlungen werden im Kopf gewonnen. Der eigenen MindSet beeinflusst unser Handeln und unsere Ergebnisse. Die Entscheidung, in einem Kontext zu verhandeln, der nicht häufig mit Verhandlungen in Verbindung gebracht wird (im deutschen Kulturkreis), erfordert zusätzlichen Mut und Willenskraft – insbesondere, wenn Sie die Vorstellung aufgeben, dass es sich bei Verhandlungen um Angelegenheiten handelt, die „nur“ bei außergewöhnlichen Problemen und Konflikten genutzt werden.

Für den Verkäufer ist der Umsatz wichtig. Und den macht er mit Ihnen. Er hat also auch ein hohes Interesse an einem Abschluss und ein Geschäft mit Ihnen. Und daraus ergibt sich eine positive Nachricht: Er fühlt sich auch abhängig von Ihnen!

Mit diesem Bewusstsein können Sie über alles Verhandeln: Preisnachlass, Rabatt bei mehr als einem Produkt, kostenlose Schneideränderungen, zusätzliche Ausstattungen (bei Kleidung z. B. Krawatte, Gürtel, Einstecktuch; im Elektronikhandeln z. B. Software, Ladekabel, Kopfhörer).

Denken Sie in alltäglichen Szenarien daran, dass die Grundlage jeder Verhandlung effektive Kommunikation, taktisches Einfühlungsvermögen und emotionale Intelligenz ist, gepaart mit dem Wissen was ich eigentlich erreichen will. Das ist alles, was unabhängig von der Situation allgemein relevant ist. Wenn Sie sich einer Verhandlung aus der Perspektive des Beziehungsaufbaus nähern, werden Sie feststellen, dass es viel einfacher ist, authentische Verbindungen herzustellen, Vertrauen aufzubauen und das Verhalten auf natürliche Weise zu beeinflussen.

Reisen

Flughäfen bieten mannigfaltige Möglichkeiten zum Verhandeln. Sie können einen besseren Platz im Flugzeug genauso verhandeln, wie ein Upgrade, ein Zusatzgepäckstück, oder was Sie mit an Bord nehmen dürfen. Dank der Vielzahl der Shops an Flughäfen können aus Wartezeiten Weiterentwicklungszeiten werden. Sie können shoppen und gleichzeitig Ihre Verhandlungsfähigkeiten trainieren. Die Möglichkeit, mehr von dem zu bekommen, was Sie möchten, besteht an jedem Terminal.

Wenn es um Flugreisen geht, sind die meisten von uns daran gewöhnt, sich für weniger zu entscheiden. Das Flughafenpersonal ist an emotional aufgeladene Konfrontationen gewöhnt, und Fluggäste kennen es, bürokratische Ablehnungen zu hören. Die meisten von uns sind sich dieser Dynamik bewusst, aber wir verwenden diese Informationen nicht, um unsere Strategie anzupassen und Einfluss zu gewinnen. Bevor Sie sich an einen Vertreter der Fluggesellschaft wenden, berücksichtigen Sie diese unausgesprochenen Erwartungen und nutzen Sie sie, um die Reaktion Ihres Gegenübers zu antizipieren und deren Perspektive zu verstehen. Flughäfen sind die idealen Orte, um den schnellen Beziehungsaufbau zu üben und, um negative Wahrnehmungen zu überwinden.

Darüber hinaus ist das Reisen von Natur aus anstrengend – nicht nur für die Passagiere, sondern auch für die Menschen, die täglich mit den emotionalen Nebenwirkungen dieser Passagiere umgehen müssen. Diese hypersensible Umgebung bietet die perfekten Gelegenheiten, um sich seiner Wirkung selbst bewusst zu werden, Selbstregulierung und taktisches Einfühlungsvermögen zu üben.

Verhandeln mit Familie und Kollegen

Ein gigantisches Umfeld um Verhandlungsfähigkeiten zu trainieren ist das enge soziale Umfeld. Wenn Sie den Satz, „weil ich es gesagt habe“, jemals ausgesprochen haben, dann haben Sie eine wichtige Gelegenheit verpasst, um das zu bekommen, was Sie wollen. Viele Eltern kämpfen am Ende einer Interessensauseinandersetzung regelmäßig mit ihren Kindern, weil sie versuchen, eine Lösung zu erzwingen, die ihr Kind nicht akzeptieren möchte. Mit Kindern zu verhandeln ist eine großartige Gelegenheit, um den eigenen Anteil am Verhandlungskuchen zu vergrößern und gleichzeitig die Beziehungsebene zu verbessern.

Konzentrieren Sie sich auf die Schaffung einer kollaborativen Umgebung und entdecken Sie, was Ihr Kind wertvoller einschätzt als Sie. Wenn Sie vor der Aufgabe stehen, dass um 21 Uhr Schlafenszeit sein soll, dann können Sie durch genaues Zuhören herausarbeiten, welches zeitliche Thema für Ihr Kind eine höhere Bedeutung hat: Ist es z. B. die Verlängerung der Bildschirmzeit, so kann der Deal so aussehen, dass Sie 15 Minuten mehr Spielzeit am Tag eintauschen gegen 20.30 Uhr Bettgehzeit inklusive gebürsteter Zähne. Ein Geschäft, das beide Parteien zufriedenstellt und zusätzlich die Beziehung stärkt. Vor allem dann, wenn Sie die verschiedenen Stufen des exakten Reinhörens genutzt haben.

Üben Sie nicht nur mit Ihren Kindern zu verhandeln, sondern üben Sie sich auch darin, ein effektiverer Zuhörer und Kommunikator zu werden.

Auch mit Ihrem Partner können Sie eine Vielzahl von gelernten Verhandlungstaktiken trainieren. Indem Sie sie über die Fähigkeiten, die Sie verwenden möchten, aufklären, ermutigen Sie sie, Sie herauszufordern, und befähigen sie, einsichtigeres und umsetzbareres Feedback zu geben.

Vergessen Sie nicht zuletzt die Personen, mit denen Sie 40 Stunden pro Woche verbringen. Was auch immer Ihre beruflichen Ziele und Verantwortlichkeiten sind, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Sie Ihre Kollegen brauchen, um Ihre Arbeit zu erledigen oder gar, um Sie zu motivieren, hervorragende Leistungen hervorzubringen. Jede Interaktion, bei der Sie versuchen, das Verhalten einer anderen Person zu beeinflussen, ist eine Verhandlung. Diese Chance zu erkennen und bewusst zu nutzen, ist der Schlüssel zu kontinuierlichem Wachstum. Der Schlüssel dazu ist zu wissen, was man erreichen möchte, sich von Vorannahmen zu befreien und ein genauer Zuhörer zu werden.

Das Beste an Verhandlungen mit Kollegen und Familie ist, dass Sie unbegrenzte Verbesserungsmöglichkeiten haben. Vielleicht hat Ihr erster Versuch nicht das gewünschte Ergebnis erzielt – verwenden Sie dieses Feedback, um Ihre Strategie beim nächsten Mal zu optimieren.

Fazit

Wir können in vielen alltäglichen Situationen daran arbeiten, unsere Verhandlungsfähigkeiten zu schärfen und zu verbessern. Wenn Sie an Vorlesungen teilnehmen, sich beruflich ausbilden lassen und Bücher und Artikel über Verhandlungen lesen oder unsere Seminare besuchen, erhalten Sie die Grundlage, die Sie inhaltlich verbessern. Aber wenn Sie dieses Wissen in eine Fähigkeit umwandeln wollen, müssen Sie dies tun.

Verhandeln lernen heißt auch, Verhalten zu verändern und die Komfortzone zu verlassen. Sich den großen Elefanten Stück für Stück einzuverleiben. Und dazu ist Wiederholung die Mutter der Fähigkeit. Nicht alles wird immer sofort gelingen. Versagen produziert auch Wachstum. Wenn Sie es vermasseln, erhöht sich Ihre Herzfrequenz und aktiviert das, was der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman als „langsames Denken“ bezeichnet – die Art von Gedanken, die bewusste Anstrengung und schrittweise Verarbeitung erfordert. Diese Momente mit hohem Reflexionsgrad beschleunigen das Lernen und verankern die Informationen im Großhirnbereich. Darüber hinaus werden die alltäglichen Übungen Ihre Verhandlungsfähigkeiten und -techniken zu einer zweiten Natur werden lassen. Ihr Gehirn wird in Verhandlung einen Zuwachs an Wahrnehmung, Reaktionsfreudigkeit, Stressresistenz und Flexibilität zeigen. Und Sie werden als Verhandler Ihre Verhandlung souveräner gestalten.

Neben den oben genannten Beispielen gibt es unzählige Möglichkeiten, Ihre Verhandlungsfähigkeiten im täglichen Leben zu verbessern. Die Menschen, die die bewusste Entscheidung treffen, die erlernten Fähigkeiten auszuprobieren und zu sehen, wie weit sie kommen, sind auch diejenigen, die in beruflichen Verhandlungen, bei denen es bei einen hohem Einsatz in Verbindung zu höheren Stress kommt, eine bessere Leistung erbringen. Sie lernen schneller und verinnerlichen Informationen gründlicher, weil sie versagt haben. Machen Sie sich auf den Weg, jeden Tag ein besserer Verhandler zu werden. Nehmen Sie Ihre Herausforderung Schritt für Schritt an. Integrieren Sie das gelernte Wissen in Alltagssituationen.

Stück für Stück.

Bildquelle:

  • elephant: kolibri5, Pixabay  | CC 0 Public Domain

Thorsten Hofmann, C4 Center for Negotiation

Thorsten Hofmann ist Lehrbeauftragter für wirtschaftliches und politisches Verhandlungsmanagement und Krisenkommunikation an der Quadriga Hochschule Berlin. Er leitet das C4 Center for Negotiation.

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