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Wenn es bei Verhandlungen nur noch um den Preis geht – Wie Sie in sechs Schritten ein optimales Ergebnis erzielen

Wenn es bei Verhandlungen nur noch um den Preis geht

Was ist, wenn es bei einer Verhandlung wirklich nur noch um den Preis geht? Sind die Positionen nicht dann komplett verhärtet? Ist eine Analyse überhaupt noch möglich? Gibt es Verhandlungsspielräume?

Auch wenn es anders scheint, auch bei Preisverhandlungen gibt es Möglichkeiten für Sie, ein optimales Ergebnis zu erzielen. Wenn wir in einer Verhandlung über den Preis sprechen, findet immer eine subjektive Bewertung statt. Jeder Kunde hat eine individuelle Vorstellung davon, was ein Produkt, ein Gegenstand, eine Dienstleistung etc. kosten darf, bzw. wie viel er oder sie bereit ist, dafür auszugeben. Diese Überzeugung basiert auf der eigenen Bewertung des Produktes bzw. wie er, auf Basis von Material-, Produktions-, Lieferkosten usw., zu dem Ergebnis gekommen ist.

Was aber, wenn es wirklich einmal nur noch um das reine „Feilschen“ geht? Wenn nur noch Preis gegen Preis ausgetauscht wird?
Dann braucht man ein Konzept des kontrollierten Vorgehens, ein effektives System, mit dem sich die übliche, durchschaubare Feilschdynamik, wie man sie z.B. von orientalischen Bazaren kennt, durchbrechen lässt. Damit verfallen Sie nicht in das Dilemma des Kompromisses von Angebot und Gegenangebot, bei dem Sie sich in der Mitte treffen.
Sie wollen schließlich nicht die Mitte, sondern das optimale Ergebnis erreichen. Um hier gezielt vorzugehen, ist die taktische Einflussnahme auf die sogenannte Urteilsheuristik und das Arbeiten mit Wahrnehmungsverzerrungen (Biases) eine bewährte Methode aus der Verhandlungspraxis.

Taktische Einflussnahme in sechs Schritten

Der Mathematiker, Spieltheoretiker und Harvard-Professor Howard Raiffa hat hierzu eine Vorgehensweise entwickelt,i die von dem ehemaligen CIA-Verhandler Mike Ackerman speziell für Lösegeldverhandlungen weiterentwickelt wurdeii. Ich möchte Ihnen hier eine modifizierte Variante für die wirtschaftliche Preisverhandlung anbieten. Dieses System hat sich in Verhandlungen als äußerst effektiv erwiesen. Es ist in der Anwendung einfach und nutzt auf der psychologischen Ebene eine Vielzahl von Verzerrungseffekten unserer Wahrnehmung: Verlustangst, Gegenseitigkeitsprinzip (Reziprozität) und das Ankerkonzept finden darin ihre Anwendung.

Das systematische und leicht einprägsame System besteht aus wenigen Schritten:

  1. Bestimmen Sie Ihren anvisierten Preis (Ihr Ziel).
  2. Nennen Sie als erstes Angebot 65 Prozent Ihres anvisierten Preises.
  3. Kalkulieren Sie drei Nachbesserungen in ansteigender Höhe ein (auf 85, 95 und 100 Prozent).
  4. Zeigen Sie eine möglichst große Empathie und verwenden Sie unterschiedliche Methoden, um »Nein« zu sagen, damit Ihr Gegenüber ein Gegenangebot unterbreitet, bevor Sie Ihr Angebot anheben.
  5. Wenn Sie die abschließende Summe berechnen, nennen Sie präzise, nicht aufgerundete Zahlen, zum Beispiel 9.836 Euro anstatt 10.000 Euro.
  6. Verknüpfen Sie diesen letzten Schritt noch mit einer zusätzlichen Forderung.

Den ersten Schritt sollten Sie gut vorbereiten: Definieren Sie ihr realistisches Ziel. Klingt einfach, wird allerdings in Verhandlungen gerne vergessen. Verhandler haben manchmal nur eine „vage“ Vorstellung davon, welchen Preis sie optimalerweise erreichen wollen. Legen Sie daher die Zielsumme fest, die Sie optimalerweise auf Basis Ihres aktuellen Verhandlungsumfeldes erreichen möchten.

Als Beispiel könnte jetzt jede Form von beruflicher Preisverhandlung sowohl von Einkaufs- als auch Verkaufsseite dienen. Der Anschaulichkeit halber nehme ich hier einen Autokauf. Stellen Sie sich vor, Sie möchten ein Auto von einem Privatmann gerne für 10.000 Euro kaufen. Sie setzen ihr Eröffnungsangebot – im Fachjargon Anker genannt – bei 65 Prozent dieser Zielsumme, also bei 6.500 Euro. Dieser extreme Anker wird selbst bei erfahrenen Verhandlern eine Flucht-oder-Kampf-Reaktion auslösen, die die kognitiven Fähigkeiten Ihres Gegenüber vorübergehend beeinträchtigt und es zu überstürzten Handlungen drängen sowie die komplette Urteilsheuristik durcheinanderwirbeln wird: Dieser Verarbeitungsprozess wird zu einer Risikobewertung führen, die eine Verlusterwartung an den selbst festgelegten Preis des Verkäufers beeinhaltet. Es ist völlig klar, dass die Gegenseite diese Summe nicht akzeptieren wird, sie wird jetzt überstürzt ein eigenes „Limit“ auf den Tisch legen.

Das ist der Moment, in dem Sie Taktiken aus der Verhandlungsrhetorik nutzen können. Mithilfe offener, aber gezielter Fragen prüfen Sie nun, ob Sie ihn dazu bringen können, sich selbst weiter zu unterbieten (Mehr zum Thema Verhandlungsrhetorik lernen Sie hier oder hier). Sie hinterfragen eine weitere Reduzierung genauso wie eine Ablehnung und fragen nach Begründungen, nach der Definition von Begriffen. Sie bauen damit den subjektiven Wert eines späteren Ergebnisses im Gehirn Ihres Gegenübers auf. Je mehr Energie und Ressourcen wir in die Erreichung eines Ziels investieren, desto mehr scheint es uns wert zu sein. Diesen Effekt erzeugen Sie nun im Gehirn Ihres Gegenübers und nutzen ihn für Ihr eigenes Ergebnis.

Jetzt kommen Sie Ihrem Gegenüber einen weiteren Schritt entgegen: Sie verbessern Ihr Angebot auf 85 Prozent, also 8.500 Euro. Mit diesem Schritt nutzen Sie nun das Gegenseitigkeitsprinzip, um eine Dankesschuld aufzubauen. Es ist nun am Gegnerüber, zu reagieren, denn Sie haben das sogenannte Gegenseitigkeitsprinzip (Reziprozität) getriggert. Wer uns etwas gibt, dem wollen wir auch etwas zurückgeben. Zusätzlich nutzen Sie den eben beschriebenen Zeitfaktor, um das Ergebnis „künstlich“ aufzuladen. Hiermit entsteht das Bewusstsein beim Gegenüber, etwas erreicht zu haben. Der Verkäufer wird Ihnen nun ein Stück entgegenkommen und Sie haben zusätzlich die Beziehungsebene gestärkt.

Danach beginnt der gleiche Zyklus wie nach dem ersten Angebot. Sie hinterfragen ein weiteres Angebot erneut mit offenen Fragen. Auch jetzt gilt es wieder, zugewandt und mit taktischer Empathie (Mehr zu „taktischer Empathie“ finden Sie hier) zu reagieren, bevor die nächste Stufe angegangen wird.

Nun gehen Sie auf 95 Prozent Ihrer Zielsumme, also 9.500 Euro. Auch hier wiederholen Sie den Zyklus der vorherigen Angebote. Stellen Sie zusätzlich an dieser Stelle eine „WIE-Frage“ und bitten Sie Ihr Gegenüber um Rat. „Wie soll ich das machen?“ In seiner Wahrnehmung sind Sie ihm nun schon weit entgegengekommen. Sie haben seine Verlustangst gemildert, den Wert des nahenden Ergebnisses subjektiv aufgeladen, mittels Ingratiationstaktik und Gegenseitigkeitsprinzip auch Sympathie erzeugt und sich immer wieder verhandlungsbereit gezeigt. Vielleicht benötigen Sie nun keinen weiteren Schritt mehr. Wenn doch, so kommt nun ihr letztes Angebot. Und dieses muss in seiner Wahrnehmung auch wie ein genau kalkuliertes aussehen, wie ein Angebot, das wirklich alles aus Ihnen herausgeholt hat. Deshalb achten Sie darauf, dass Sie eine ungerade Zahl nennen. Also nicht die angestrebten 10.000 Euro, sondern zum Beispiel 9.836 Euro. Eine ungerade Zahl wirkt glaubwürdiger. Sie erscheint genau berechnet. Zusätzlich versehen Sie dieses letzte Entgegenkommen mit einer eigenen Forderung, z.B. „9.836 Euro, allerdings nur mit einem gefüllten Tank“.

Es erscheint, als wäre dies Ihr letztes noch mögliches Angebot. Ein Folge der vorhergegangenen Schritte und der Einflussnahme auf die Urteilsheuristik Ihres Gegenübers. Zudem ist diese Vorgehensweise Balsam für das Selbstwertgefühl Ihres Gegenübers. Robert Raiffa hat in seinen Forschungen festgestellt, dass Menschen, die Zugeständnisse erzielen, den Verhandlungsprozess als positiver erleben als Menschen, die nur ein einziges, „faires“ Angebot erhalten. Tatsächlich fühlen sie sich sogar dann noch besser, wenn sie am Ende mehr bezahlen oder weniger erhalten, als wenn sie keine Zugeständnisse erzielt hätten. Diese Methode, den Preis zu verhandeln, lohnt sich für somit sowohl für Ihr eigenes Ergebnis als auch die Beziehung zu Gegenseite.


[i] Raiffa, Howard & Keeney, Ralph L. (1993), Decisions with Multiple Objectives: Preferences and Value Tradeoffs, New York: Cambridge UP (Originalausgabe 1976); Raiffa, Howard (1982), The Art and Science of Negotiation, Cambridge, MA: Harvard UP; Raiffa, Howard, Richardson J. & Metcalfe, D. (2003), Negotiation Analysis: The Science and Art of Collaborative Decision, Cambridge, MA: Harvard UP.
[ii] Ackerman, Mike (2008), Counterterrorism Strategies for Corporations: The Ackerman Principles, Amherst, NY: Prometheus Books.



Thorsten Hofmann, C4 Center for Negotiation

Thorsten Hofmann ist Lehrbeauftragter für wirtschaftliches und politisches Verhandlungsmanagement und Krisenkommunikation an der Quadriga Hochschule Berlin. Er leitet das C4 Center for Negotiation.

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