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Warum Rhetorik-Tricks im Haushalts-Streit entscheidende Rolle spielen

Robert Habeck, Christian Lindner und Olaf Scholz

Die Aufstellung des nächsten Bundeshaushaltes wird zur Nagelprobe für die Ampel-Regierung in Berlin. Es dürften die schwierigsten Verhandlungen seit Jahren werden. Unser Gastautor, der Verhandlungsexperte Hofmann, erklärt, worauf es dabei ankommt.

Bis 3. Juli will die Bundesregierung einen Haushaltsentwurf vorlegen. Dazu wird Bundeskanzler Olaf Scholz von seiner Partei öffentlich gedrängt, bloß keine quälende Debatte ums Geld über den Sommer, insbesondere nicht vor den Wahlen im Osten, zuzulassen. Gleichzeitig sind alle drei Koalitionspartner vom eigenen Wähler angezählt und unter erheblichem Erfolgsdruck.

Die zumindest öffentlich kommunizierten Nach-Wahl-Analysen lassen dabei nicht vermuten, dass man die eigenen Inhalte hinterfragt und sich selbst auf die jeweils anderen Partner zubewegen möchte. Im Gegenteil: jeder der drei Partner deutet das Wahlergebnis so, dass man mehr von der eigenen Politik durchsetzen müsse, dann würde der Wähler schon zurückkehren. Ob vor diesem Hintergrund eine Einigung in nur drei Wochen gelingt? Fraglich.

Im politischen Berlin sprechen viele schon von einem „Endgame“ und meinen damit, dass die Verhandlungen zum Bundeshaushalt „die entscheidende Verhandlung“ in der Dreier-Koalition sein wird, die über den Fortbestand entscheidet. Über das „Wohl und Wehe“ der Kanzlerschaft und das mit so viel Vorschusslorbeeren gestartet Experiment einer Fortschrittskoalition. Ist dies so? Welche Rolle kommt auf den Kanzler zu? Welche Zwänge haben die drei Verhandler? Und wie muss Olaf Scholz agieren?

Dazu erst einmal ein Blick auf die Lage der drei Parteien.

SPD: bundesweit schlechtestes Wahlergebnis seit 1887

Der historische Tiefpunkt der SPD wird durch das Ergebnis der Europa-Wahl deutlich. Das schlechteste bundesweite Wahlergebnis seit 1887, als die Partei noch SAP hieß, wurde am 9. Juni 2024 erzielt. Selbst bei der letzten Reichstagswahl im März 1933 war die SPD erfolgreicher.

Olaf Scholz bezeichnete das Ergebnis in einer internen Krisensitzung als „enttäuschend“. Mit 13,9 Prozent ist dies die Realität der Kanzlerpartei. Innerhalb der SPD werden Stimmen laut, die Scholz‘ Führungsstärke infrage stellen: 85 Prozent der Menschen fordern klarere Richtungsanweisungen von ihm, und 77 Prozent bemängeln, dass die SPD viel verspreche, aber wenig umsetze.

Die schlechte Performance der Ampelkoalition wird als Hauptgrund für das Ergebnis gesehen, was die gesamte SPD-Führung unter Druck setzt.

Klare rote Linien in der Haushaltsverhandlung

Aus dem Wahlergebnis leitet der Generalsekretär Kevin Kühnert schon einmal klare rote Linien in der Haushaltsverhandlung ab: „Einen Sparhaushalt auf Kosten der sozialen Sicherheit kann und wird es nicht geben.“ „Einen Sparhaushalt wird es mit uns nicht geben“, sagte auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Tim Klüssendorf der „Süddeutschen Zeitung“.

„Wir brauchen einen Plan B, wenn es am 3. Juli spitz auf Knopf steht und Olaf Scholz keine 30 Milliarden Einsparungen mitmachen kann, Christian Lindner sich aber ebenfalls nicht bewegt.“

Nun ist es grundsätzlich nur dann hilfreich, rote Linien in Verhandlungen zu setzen, wenn man wirklich noch eine Alternative hat. Als Einkäufer eines Unternehmens kann ich vielleicht zwischen mehreren Anbietern oder Dienstleistern wählen. Die Frage ist nur, ob die drei verhandelnden Koalitionäre diese wirklich haben. Für alle drei würden Neuwahlen einen „Totalabsturz“ bedeuten.

Lindner fordert „Fairness-Update“

Denn auch die Ergebnisse von FDP und Grünen sind bei der Europa-Wahl im Vergleich zur Bundestagswahl gesunken auf 5,2 Prozent und 11,9 Prozent.

Die FDP, der es gelang, mit 5,2 Prozent die symbolisch wichtige Fünf vor dem Komma zu verteidigen, sieht sich sogar in ihrer Rolle als Wahrer des Haushaltsschatzes bestätigt. FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner klang in den Tagen nach der Wahl nicht, als wolle er SPD und Grünen nun große Zugeständnisse machen.

Lindner sagte Richtung SPD und Grüne: „Man wird nicht gewählt, weil man jetzt mehr Geld umverteilt.“ Stattdessen sei ein „Fairness-Update“ beim Bürgergeld nötig. „Wir brauchen eine fordernde Arbeitsmarktpolitik“, sagte Lindner. Neuwahlen bergen allerdings auch das Risiko für die Liberalen, an der 5-Prozent-Hürde zu scheitern und sich wieder in die außerparlamentarische Opposition begeben zu müssen.

Die Grünen und die Ampel-Kompromisse

Und bei den Grünen? Da brodelt es. „Wir müssen das Sicherheitsbedürfnis der Menschen ernst nehmen bei den Haushaltsverhandlungen. Das wird mit einer Sparwelle nicht möglich sein“, sagt etwa Rasmus Andresen, Fraktionsvorsitzender der europäischen Grünen, dem „Tagesspiegel“.

Die Grünen dürften nicht nur aus Ampel-Kompromissen bestehen. „Wir Grüne müssen unser Profil schärfen, um neben der Berliner Regierungspolitik auch als eigenständige Partei stärker wahrgenommen zu werden.“

Parteichef Omid Nouripour versucht bisher noch, die Wogen zu glätten. „Es hilft nichts, wenn wir unsere Differenzen öffentlich ausführen“, sagt er, ergänzt aber, dass Deutschland einen „gigantischen Modernisierungsstau“ habe. Die Koalition steht für die Grünen ohnehin nicht infrage. Aber noch selbstbewusster auftreten, das werden sie wohl, damit muss Scholz rechnen.

Entscheidend für den Kanzler: Gezieltes „Framing“ von Informationen

Wie soll das zusammenpassen? Sozialdemokraten, die in die Enge gedrängt sind und nach „SPD pur“ rufen? Liberale, die innerlich gestärkt ihren Sparkurs verteidigen? Und jetzt auch noch Grüne, die nicht mehr bereit sind, jeden Kompromiss ihres eigenen Vizekanzlers Robert Habeck zu akzeptieren? Dazu kommt ein Haushalt, in dem je nach Berechnung 25 bis über 50 Milliarden Euro fehlen.

Will man Neuwahlen vermeiden, werden sich alle drei Parteien bewegen müssen. Und alle meint in dem Fall eben nicht „die jeweils beiden anderen“.

Um dieses notwendige Nachgeben der eigenen Maximalforderungen politisch zu überleben, wird entscheidend sein, den eigenen Gremien und vor allem der eigenen Wählerklientel das final ausgehandelte Paket zu „verkaufen“: Dabei kommt dem Framingder gezielten Gestaltung der Darstellung von Informationen, um deren Wahrnehmung und Interpretation zu lenken, nicht selten eine mindestens ebenso hohe Bedeutung zu, wie dem tatsächlich Erreichten.

Es geht dabei darum, einen bestimmten Kontext oder Rahmen zu schaffen, der die Bedeutung und Reaktion auf die Informationen steuert. Frames steuern die Betrachtungsweise, indem man über “Personalanpassung“ spricht und „Entlassungen“ meint, „Gier“ mit „ökonomischen Ambitionen“ beschreibt oder den Begriff „Klimaterrorist“ oder „Klimaaktivist“ nutzt. Auch wenn das Gleiche gemeint ist, entsteht eine andere Betrachtung.

So wurde für die Verlängerung der Atomlaufzeit ein anderer Frame gefunden, der „Streckbetrieb“. Aus dem „Bürgergeld“ könnte z.B. ein „Bürgergeld-NEU“ oder ein „Mitmach-Bürgergeld“ werden, bei dem Schwarzarbeit und Nicht-Mitwirkung stärker berücksichtigt und, damit Einsparungen realistisch budgetiert werden können, auch mit Instrumenten der Durchsetzung versehen werden.

Effektive Maßnahmen für Koalitionsvereinbarungen

Diese schönen neuen Begriffe müssen natürlich mit Inhalten gefüttert werden. Inhaltslose Frames werden für die Koalitionäre auch keinen Erfolg liefern. Ein ausgewogener Ansatz, der Einsparungen in weniger prioritären Bereichen vorsieht und gleichzeitig in wichtige Zukunftsprojekte wie Digitalisierung, Bildung und Klimaschutz investiert.

  • Überprüfung und Anpassung bestehender Subventionen, um sicherzustellen, dass sie zielgerichtet und effektiv eingesetzt werden.
  • Verstärkte Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung, um die Einnahmen zu erhöhen.
  • Einführung oder Erhöhung von Steuern auf Luxusgüter, um zusätzliche Einnahmen zu generieren.
  • Aufnahme von Krediten innerhalb der Grenzen der Schuldenbremse, um kurzfristige Finanzierungslücken zu schließen und Investitionsprogramme zu fördern, die langfristig wirtschaftliches Wachstum erzielen und somit zukünftige Einnahmen steigern.
  • Nutzung öffentlich-privater Partnerschaften zur Finanzierung und Umsetzung großer Infrastrukturprojekte, wodurch die Belastung des öffentlichen Haushalts verringert wird.

Würde neben der Schuldenbremse ein „Sonderpaket Infrastruktur“ zweckgebunden formuliert und verwendet (das Bundesverfassungsgericht lässt grüßen), könnte auch die FDP mitgehen.

Scholz zwischen den Stühlen

Für Kanzler Scholz kein leichtes Unterfangen, da er als Verhandler und Mediator zwischen allen Stühlen sitzt: Er muss seine Partei befrieden und Ergebnisse erzielen und darf auf der anderen Seite das Arbeitsklima in der Koalition nicht vollständig zerstören.

Alle drei Spitzenverhandler verhandeln in den nächsten Tagen nicht nur miteinander, sondern auch in einer Vielzahl von Verhandlungen und Abstimmungen mit den eigenen Stakeholdern.

Ziel dabei wird es auch sein, ein Mandat zu haben, sodass nach einem potenziellen Abschluss dieser nicht gleich wieder von den eigenen Parteifreunden zerredet wird und damit die eigene Macht am Verhandlungstisch erodieren lässt.

Entscheidend wird also für alle drei Player gleichermaßen sein, in den nächsten Tagen keine Kakofonie, Kommentierungen, Rote Linien, etc aus ihren Parteien zuzulassen und Verhandlungszwischenstände vertraulich zu behandeln.

Benötigt wird eine Geschlossenheit, wie sie bei den Koalitionsverhandlungen zu Beginn der Ampel professionell durchgehalten wurde. Dazu muss der Kanzler die Agenda für jede Verhandlungsrunde setzen.

Es gilt, einen straffen Zeitplan mit Terminen und Themenkomplexen für die Verhandlungen mit seinen Koalitionspartnern und für interne Absprachen aufzubauen. Gleichzeitig sind klare Zuständigkeit beim Stakeholdermanagement in seiner eigenen Partei zu klären und Koordinierungsstrukturen im Hintergrund aufgebaut zu lassen, die die Verhandler inhaltlich und rechnerisch unterstützen. Zusätzlich gilt es, seinen Terminkalender zu entschlacken und die anstehenden Verhandlungen zu priorisieren.

Reicht Scholz‘ Beziehungs- und Vertrauenspolster für einen Koalitionskompromiss?

Um dies überhaupt zu erreichen, kommt dem bisher aufgebauten Beziehungs- und Vertrauenspolster der drei Verhandler eine entscheidende Rolle zu. Reicht es, um die Verhandlungen doch zu einem gemeinsamen Ergebnis zu tragen? Oder versinkt die Koalition im Strudel der eigenen Streitigkeiten.

Nach dem faktischen Ergebnis kommt dann noch die Deutung des Ergebnisses. Und auch das muss verhandelt werden. Wie können die Ergebnisse von den jeweiligen Akteuren als gemeinsamer und spezieller Erfolg platziert werden. Hierzu gehört auch eine speziell abgestimmte und verhandelte Verhandlungskommunikation.

Man kann dem Kanzler nur ein Zitat aus der Antrittsrede von John F. Kennedy mit auf den Weg geben: „Lasst uns niemals aus Angst verhandeln. Aber lasst uns auch niemals die Verhandlungen fürchten.“


Dieses Interview mit Verhandlungsexperte Thorsten Hofmann erschien im „Foucs online“ am 18.06.2024 und ist hier abzurufen.




Thorsten Hofmann, C4 Center for Negotiation

Thorsten Hofmann ist Lehrbeauftragter für wirtschaftliches und politisches Verhandlungsmanagement und Krisenkommunikation an der Quadriga Hochschule Berlin. Er leitet das C4 Center for Negotiation.

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