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„Trügerische Wahrheiten“: Wie Verhandlungen im Hirn funktionieren

„Trügerische Wahrheiten“: Wie Verhandlungen im Hirn funktionieren

Viele Menschen empfinden Dinge in Verhandlungen als „wahr“, die oft nicht auf Tatsachen basieren, sondern auf Vorurteilen oder Vorannahmen fußen und eine „trügerische Wahrheit“ erzeugen. Daraus entstehen emotionalisierte Entscheidungen. Warum das gerade in Verhandlungen gefährlich ist, erklärt die moderne Hirnforschung.

Fünf  Fakten.

Fakt 1 – Das menschliche Gehirn ist ein individueller Kosmos 

Unser Gehirn hat keinen Zugang zur Außenwelt. Es sitzt in der dunklen, abgeschlossenen Kammer unseres Schädels. Es agiert weitgehend autonom und interagiert überwiegend mit internen Prozessen und internen Repräsentationen. Trotz der ständigen Flut von sensorischen Informationen aus der Umgebung ist das Gehirn selektiv und verarbeitet nur einen Bruchteil dieser Informationen. Diese Selektivität resultiert aus der Notwendigkeit, Ressourcen effizient zu nutzen und sich auf relevante Aspekte der Umwelt zu konzentrieren, um Anpassung und Überleben zu gewährleisten.

Das Gehirn ist mehr mit sich selbst befasst als mit den Informationen, die aus der Außenwelt kommen. Es verarbeitet nur ein Minimum der Sinnesinformationen. Also nur das, was das Gehirn benötigt, um sich in der Welt zurechtzufinden. Der Prozess der Informationsverarbeitung wird von einer Vielzahl von internen Mechanismen gesteuert, die dazu dienen, Informationen zu filtern, zu priorisieren und zu interpretieren. Dabei spielen individuelle Erfahrungen, emotionale Zustände und kognitive Vorlieben eine wichtige Rolle bei der Bestimmung, welche Informationen als relevant oder attraktiv erachtet werden. Diese kognitiven Kriterien beeinflussen, welche externen Reize oder Informationen die Aufmerksamkeit des Gehirns erregen und weiterverarbeitet werden.

„Externe Informationen“ müssen daher relevant, attraktiv und differenzierend sein, damit unser Gehirn sich damit beschäftigt.

Beim Anhören von Argumenten in einer Verhandlung durchläuft das Gehirn ebenfalls diesen Prozess der Informationsverarbeitung, wobei es zunächst die Relevanz und Attraktivität der präsentierten Argumente bewertet, bevor es eine Entscheidung trifft oder eine Handlung initiiert. Daher ist es entscheidend, dass die Argumente, die in einer Verhandlung vorgebracht werden, die spezifischen Relevanzkriterien des Verhandlungspartners erfüllen, um eine positive Wirkung zu erzielen. Ohne eine eingehende Analyse dieser Kriterien wird es schwierig sein, effektive und zielgerichtete Argumentationsstrategien zu entwickeln, die die gewünschten Ergebnisse in der Verhandlungssituation erzielen.

Ein Grund weswegen bei einer professionell geführten Verhandlung erst die Analyse und dann die Argumentation folgt. Argumente, die bei dem Verhandlungsgegenüber wirken sollen, müssen dessen Relevanzkriterien treffen. Ohne diese Relevanzkriterien zu analysieren, wird es uns nicht gelingen, zielgenaue Argumente zu entwickeln.

Fakt 2 – It’s the subconsciousness, stupid! – Die kognitive Benutzerillusion

Die Gefühle, Motive und Wünsche, die uns antreiben, kommen aus dem Unterbewusstsein. Wir wissen meist gar nicht, warum wir etwas wollen.

Unser Bewusstsein hat ein Talent dafür, sich selbst einzureden, dass es die Zügel in der Hand hat. Das Gehirn erledigt jedoch vieles, ohne dass es uns bewusst wird. Der Verstand wird also seltener eingeschaltet als unser kognitives Selbstbild das vorsieht.

Der Grund für all das unbewusste Treiben ist, dass bewusstes Denken sehr viel Energie verbrennt. Und Energie ist knapp. Das Bewusstsein schaltet sich daher erst ein, wenn etwas Unerwartetes passiert.

Dies kann gerade bei Ankern zu Anpassungseffekten und, von der Gegenseite, gesteuerten Entscheidungen führen. Der Ankereffekt[1] ist ein Begriff aus der Kognitionspsychologie und beschreibt den Effekt, dass Menschen bei Entscheidungen von Umgebungsinformationen, z.B. einen eingebrachten Preis, beeinflusst werden, ohne dass ihnen dieser Einfluss bewusst wird. Die Umgebungsinformationen werden als der „Anker“ bezeichnet, an dem sich die Entscheidung orientiert.

Um sich zu „entankern“ ist das Wissen um Fakt 3 erfolgskritisch.

Fakt 3 – It’s all about emotion – Schutz durch Implementation Intentions

Unser Gehirn ist wie ein Parlament, in dem rivalisierende Parteien um die Vormacht kämpfen. Mal entscheiden wir egoistisch, mal großzügig, mal langfristig – und immer entscheiden wir auch emotional.

Denn Emotionen bestimmen alles. Unser Denken und unsere Entscheidungen. Unser Gehirn unterscheidet letztendlich zwischen positiven Emotionen (Belohnungen) und negativen Emotionen (Bestrafungen).

Die gilt gerade in Verhandlungen. Viele Verhandlungstaktiken basieren u.a. darauf mit Reziprozität, also Dankbarkeitsschuld oder mittels eines Angstzustandes (z.B. durch Verknappung, Zeitdruck oder Drohung) ein Entgegenkommen zu erreichen.

Um in Verhandlungen nicht der Manipulation der Gegenseite zu unterliegen, helfen Implementation Intentions[2], eine Strategie[3] zur Selbstregulation. Dieses Konzept hat die Funktion, diejenigen Bedingungen zu spezifizieren, durch die langfristige Ziele mittels bestimmter Handlungen realisiert werden können. So kann eine klare Struktur in der Verhandlung, wie das F.I.R.E.-Concept of Control ®, vor emotionalisierten Entscheidungen in Verhandlungen schützen. Mit einer klaren Vorbereitung eines Zielkorridors und eine Best-Case-Definition auf Basis des Verhandlungsumfeldes gelingt das Distanzieren von entscheidungsbeeinflussenden Ankern der Gegenseite.

Fakt 4 – Tactical Emphaty – Vertrauen ist Urteilsheuristik?

Was ist eigentlich Vertrauen in einer Verhandlungssituation? Wissenschaftlich bezeichnet man Vertrauen auch als eine „Positive Zukunftsprojektion“, also eine Abschätzung des zukünftigen Verhaltens des Gegenübers. Diese Abschätzung wird gesteuert durch unsere Urteilsheuristik, also mentale Abkürzungen oder Regeln (wegen dem hohen körperlichen Energieverbrauch des Gehirns. Siehe Fakt 2), die wir Menschen verwenden, um komplexe Entscheidungen zu treffen

oder komplexe Informationen zu verarbeiten, oft unter Zeit- oder Informationsbeschränkungen. Diese Abschätzungen sind allerdings auch fehleranfällig und manipulierbar.

Ein Beispiel hierfür ist die Repräsentativitätsheuristik[4]. Diese Heuristik basiert auf der Tatsache, dass wir Wahrscheinlichkeiten und Kategorien aufgrund von Ähnlichkeiten einschätzen. Wenn etwas einem bekannten Muster ähnelt oder eine bestimmte Kategorie repräsentiert, neigen wir dazu, Annahmen über Eigenschaften oder Merkmale dieses Objekts oder Ereignisses zu machen, auch wenn diese Annahmen statistisch betrachtet nicht korrekt sein könnten. Wenn uns selbst jemand ähnlich ist, dann neigen wir dazu dieser Person in einer Verhandlung mehr Vertrauen zuzurechnen. Unser Hirn spukt dann eine positive Zukunftsprojektion aus.

Vertrauen ist somit kein Wert, sondern das Ergebnis einer subjektiv unbewussten Bewertung, das diesen Zustand erzeugt.  Das bedeutet, dass unser Verhandlungsgegenüber hinsichtlich eines ähnlichen Erfahrungsschatzes, Zugehörigkeiten und Werte zu einer positiven Abschätzung unserer Person gelangt. Erhöhte Kooperation, offenere Kommunikation, Reduzierung von Misstrauen und Konflikten, erhöhte Flexibilität und das Herangehen an die eigenen Grenzen (oder rote Linien) sind die Folge.

Wer in Verhandlungen mit dem Hirn des Gegenübers hilfreich arbeiten will, sollte sich im Klaren sein, dass Vertrauen der entscheidende Treiber für eine stabile Verhandlungsbeziehung ist.

Erfolgskritische Wissen, das sich strukturiert erlernen lässt.

Fakt 5 – Emotionen helfen, Informationen bei unserem Verhandlungsgegenüber zu steuern

Erstens, Informationen werden mit einem Gefühlsmarker ausgestattet bevor sie unser Langzeitgedächtnis erreichen. Wenn die Infos nun abgerufen werden, reproduziert der Marker die Gefühle, die wir bei der Speicherung erlebt haben.

Zweitens, das Gefühlszentrum des Gehirns, das limbische System, schüttet bei positiven wie negativen Gefühlen Botenstoffe aus, welche die Signalübertragung zwischen Nervenzellen verbessern und unsere Erinnerungen auf diese Weise stärken.

Hiermit lassen sich wichtige Botschaften in einer Verhandlung zielgenau verankern. Zu wissen, wie man Stressoren auf- und abbaut gehört somit zum Repertoire erfahrener und erfolgreicher Verhandler.

Fazit:

Jedes Gehirn hat seine eigene Wirklichkeit – und damit seine eigene Wahrheit. De facto sind wir kein rationales sondern ein rationalisierendes Wesen. Sprich, wir haben immer gute Gründe für unsere emotionalen Entscheidungen. Diese besser zu verstehen und in Verhandlungen zu nutzen schützt vor Manipulation und hilft die eigenen Verhandlungsziele zu erreichen.


[1] Amos Tversky, Daniel Kahneman: Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases. In: Science. Band 185, Nr. 4157, 27. September 1974, ISSN 0036-8075, S. 1124–1131, doi:10.1126/science.185.4157.1124, PMID 17835457 (caltech.edu [PDF; abgerufen am 21. Oktober 2019]).

[2] Gollwitzer, P. M. (1999). Implementation intentions: Strong effects of simple plans. American Psychologist, 54, 493–503. S. 493

[3] Achtziger, A., Gollwitzer, P. M., & Sheeran, P. (2008). Implementation intentions and shielding goal striving from unwanted thoughts and feelings. Personality and Social Psychology Bulletin, 34, S. 381–393.

[4] K. H. Teigen: Judgements by representativeness. In: R. F. Pohl (Hrsg.): Cognitive illusions: Intriguing phenomena in thinking, judgement, and memory. 2. Auflage. Routledge, London/ New York 2017, S. 204–222.



Thorsten Hofmann, C4 Center for Negotiation

Thorsten Hofmann ist Lehrbeauftragter für wirtschaftliches und politisches Verhandlungsmanagement und Krisenkommunikation an der Quadriga Hochschule Berlin. Er leitet das C4 Center for Negotiation.

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