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Wenn zwei sich streiten. Der ewige Kampf um Deutungshoheit im Wolfsburger Volkswagenhochhaus.

Rundbriefe, öffentliches Poltern und ein angeknackstes Vertrauensverhältnis – der Haussegen beim großen skandalgebeutelten Autobauer hängt gehörig schief und von Einlenken oder gegenseitigem Verständnis gibt es keine Spur. Dabei gerät das eigentliche Thema Stellenabbau in den Hintergrund.

Wenn Vorstände Mitarbeiterrundschreiben versenden lassen, dann zumeist, um klare Botschaften und Inhalte zu vermitteln. Geschäftsentwicklungen, Ankündigungen, Dankesworte sind die klassischen Inhalte solcher Schreiben. Anders derzeit bei VW, wo sich eine Konfliktkultur manifestiert, die eng verknüpft ist mit öffentlicher Zurschaustellung und einem egoistisch geprägten Kampf um Deutungshoheit. Der Weg zurück an einen gemeinsamen Verhandlungstisch ist steinig geworden und die Kommunikation von etlichen Kuriositäten geprägt. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen dabei zwei Personen: Betriebsratschef Bernd Osterloh und VW Markenchef Herbert Diess.

Verhandlungsthemen geraten in den Hintergrund

Die Männer aus der obersten Etage des grauen Hochhauses am Mittellandkanal verhandeln seit Wochen um ein für den Konzern essentielles Thema. Strategen sprechen gar von überlebenswichtigen Entscheidungen für die Zukunft des Autobauers. Im November 2016 vereinbarten Betriebsrat und Management den sogenannten Zukunftspakt, um den durch den Diesel-Skandal und die Gehaltsdebatte bei Managern krisengeschüttelten Konzern wieder auf Spur zu bringen. Der Kern des Pakts sieht vor, dass bis zum Jahr 2025 mehr als 30.000 Mitarbeiter entlassen werden. Im Umkehrschluss konnte der Betriebsrat durchsetzen, dass in zukunftsträchtigen Konzernbereichen, wie zum Beispiel Elektromobilität, tausende neue Stellen geschaffen werden. Betriebsbedingte Kündigungen sollen ausgeschlossen werden. Doch unabhängig von der gemeinsam getragenen Neuausrichtung geraten vor allem zwei Personen immer wieder in einer neu aufflammenden Fehde aneinander: Bernd Osterloh und Herbert Diess. Erstmals krachte es zwischen den beiden Platzhirschen im April 2016. Markenchef Diess zog die Notbremse und stellte die Vertrauensfrage, welche von der Mehrheitseigentümerfamilie Porsche/Piëch bestätigt wurde. Damit blieb Diess im Sattel. Der Streit mit Betriebsratschef Osterloh indes hielt weiter an und prägte sämtliche Verhandlungen. Die Vorwürfe wiederholen sich dabei in regelmäßiger Genauigkeit und ebenfalls auf dem gleichen Kommunikationsweg per öffentlichen Mitarbeiterrundschreiben. Bernd Osterloh warf Markenchef Diess zuletzt vor, Vereinbarungen des Zukunftspakts nicht einzuhalten. Dabei geht es unter anderem um nicht geschaffene Stellen innerhalb des ersten Halbjahres. Osterlohs genereller Vorwurf ist dabei ein „zutiefst unsoziales Agieren“ von Markenchef Diess. Aus Sicht des Kopfes des VW-Betriebsrats wolle Diess viele Beschäftigte auf schnellstem Wege aus dem Unternehmen drängen. Vereinbart sei allerdings, dass Stellen nur dann gekürzt werden sollen, wenn Arbeit nicht mehr vorhanden ist oder anders organisierbar sei.

Die Antwort von Diess ließ nicht lange auf sich warten und kam prompt – ebenfalls per Rundschreiben. Darin verteidigte Diess seinen eingeschlagenen Sparkurs mit der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens. Standorte würden nicht geschlossen. Betriebsbedingte Kündigungen sollen nach wie vor vermieden werden.

Druck erzeugt Gegendruck

Diess, Osterloh als auch Vorstandschef Müller manövrierten sich durch ihren öffentlichen Rundbriefaustausch mehr oder weniger schnell in individuell ungünstige Positionen aus Verhandlungsperspektive. Betriebsratschef Osterloh verließ den Verhandlungstisch mit einem klaren Kalkül. Für den 51-jährigen Gewerkschaftler ist die Taktik deutlich zielgesteuert: Deutung über das Geschehen gewinnen. Bei Deutungshoheit, so das Kalkül, ließe sich schneller eine Mobilisierbarkeit der Belegschaft erreichen und damit unweigerlich auch eine Bereitschaft zum Mittel, um den Druck in  der Verhandlungen zu erhöhen: dem Streik. Für Markenchef Diess hingegen geht es bei der öffentlichen Austragung des Konflikts darum, eine Demobilisierbarkeit zu erreichen und ein generelles Verständnis bei der Belegschaft für den eingeschlagenen Sparkurs zu verteidigen. Oder kurz: Streik vs. Streikprävention. Vor den Werkstoren in Wolfsburg, Braunschweig, Hannover oder anderen Standorten des Konzerns macht sich indes etwas anderes breit. Verunsicherung prägt die Belegschaft und fällt damit weder Osterloh, noch Diess in die Hände. Im Gegenteil. Die öffentliche Kommunikation über Rundschreiben rüttelt am Glauben der Belegschaft, den schwankenden Riesen Volkswagen wieder aufrecht gehen zu lassen. Denn das geht nur, wenn alle Parteien wieder gemeinsam zusammenarbeiten. Zerstrittenheit nach innen und außen sendet eine falsche Botschaft. Das wichtige Zeichen von Geschlossenheit rückt in weite Ferne, vor allem dann, wenn Konzernchef Müller selbst per Rundbrief eingreifen muss – wie kürzlich geschehen.

Fazit

Es ist aus Verhandlungsperspektive absolut richtig und nur zu empfehlen kommunikativ vorauszuplanen. Die Deutungshoheit im Krisenfall zu erhalten ist wichtig und richtig. Verhandlungen zu einem souveränen Ausgang zu führen und mögliche Situationen zu antizipieren zahlt sich aus. Man spricht hierbei von der Vorbereitung von „What-If-Szenarien“. Das Problem bei VW liegt allerdings in der Gesamtkombination und dem Versuch der einzelnen Probanden, sich selbst zu initiieren. Das gilt sowohl für Osterloh als auch für Diess. Das Ende vom Lied sind irreparable Beziehungsschäden und ein Gesichtsverlust beider Parteien bei direkter Konfrontation. Rundbriefe sind sinnbildend für die daraus entstehende Sprachlosigkeit. Um alle Verhandlungspartner wieder an einen Tisch bringen zu können, ist Ruhe das beste Instrument, um die erhitzten Gemüter abzukühlen. Dazu zählt vor allem der zwingende Verzicht auf Rundbriefe oder sonstige Form öffentlicher Kommunikation, andernfalls verlieren beide Parteien langfristig und nachhallend.

 

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Bildquellen

  • VW Logo: renehesse, Pixabay | CC 0 Public Domain

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  • vw-1665127_1920: renehesse, Pixabay | CC 0 Public Domain

Thorsten Hofmann, C4 Center for Negotiation

Thorsten Hofmann ist Lehrbeauftragter für wirtschaftliches und politisches Verhandlungsmanagement und Krisenkommunikation an der Quadriga Hochschule Berlin. Er leitet das C4 Center for Negotiation.

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