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Thorsten Hofmann zu Brexit-Verhandlung: Von Macht, Ohnmacht und Bluffs

Die öffentliche Debatte um den bevorstehenden Brexit erhält erneuten Zündstoff. Die Ankündigung von Großbritanniens Premierministerin Theresa May einen „klaren Brexit“ zu fahren, rüttelt die britische Wirtschaft erneut wach. Doch dahinter steckt ein Verhandlungstaktisches Kalkül.

Bis Ende März soll die britische Austrittserklärung aus der Europäischen Union in Brüssel eingehen. Der Countdown zum Brexit läuft schnell, unaufhörlich und die britische Wirtschaft wird unruhiger. Zu groß sind die Befürchtungen vor massiven und nicht kalkulierbaren negativen Folgen für die Unternehmen der Insel. Neben dem ohnehin hoch umstrittenen Austritt Großbritanniens aus der EU innerhalb der eigenen Bevölkerung gießt die britische Premierministerin Theresa May nun weiteres Öl ins Feuer und sprach sich in ihrer Grundsatzrede für einen „klaren Brexit“ aus. Damit hält May weiter an ihrer strategischen Linie gegenüber der EU fest und manifestierte die Bereitschaft für einen weitreichenden Cut mit bestehenden Verhältnissen: Raus aus dem europäischen Binnenmarkt, raus aus der Zollunion und eine Abkehr vom Europäischen Gerichtshof. Zu groß war auf der Insel der Unmut darüber geworden, wie von Seiten der ohnehin schon argwöhnisch beäugten Europahauptstadt Brüssel immer mehr in die so hoch gehaltene britische Souveränität eingegriffen wurde.

Vor den anstehenden Verhandlungen mit der Europäischen Union untermauert Theresa May damit einmal mehr ihre Aussage „Brexit heißt Brexit“ und signalisiert, dass Sie mit erhobenen Haupt und nicht als Bitsteller in die anstehenden Verhandlungen mit der EU geht. Daher erlaubt es sich May auch, das Parlament am Ende über das Ergebnis der Austrittsverhandlungen mit der EU abstimmen zu lassen. Mit einer klaren Mehrheit Ihrer konservativen Partei im Rücken kann sich May einer Kursbestätigung an dieser Stelle sicher sein.

Während Wirtschaftsvertreter vor bislang nicht abschätzbaren Folgen für britische Unternehmen warnen, kommt May mit ihren Aussagen vor allem den Brexit-Befürwortern entgegen und dürfte vor allem dort weitere Sympathien gewinnen. Der unkontrollierten Einwanderung entgegenzuwirken war eines der zentralen Versprechen des Brexit-Lagers, welches sich mit aller Macht gegen die EU stellte. Mit der erneuten Bestätigung eines rigorosen Kurses hat May damit zugleich deutlich gemacht, dass sie bereit ist, eine Abschottung vom EU-Binnenmarkt in Kauf zu nehmen. Damit signalisiert Theresa May, dass sie sich in einer machtvollen Position wähnt und entgegnet zugleich öffentlicher Kritik, keine Details der britischen Verhandlungsstrategie preiszugeben. Auf dem ersten Blick erhöht das den Druck auf die EU am Verhandlungstisch und zeigt vor allem auf, dass ein Austausch relevanter Positionen und Forderungen wie etwaige wirtschaftliche Abkommen, zum Beispiel mit Blick auf etwaige Zollschranken nicht ohne Zugeständnis an die Briten stattfinden wird.  So merkte Ex-Finanzminister George Osborne bereits unmittelbar nach der Brexit Entscheidung an, ähnliche Steuermodelle wie in Irland einzuführen, um Großkonzerne wie Apple ins Land zu locken. Großbritannien sollte nach Idee Osbornes zum Steuerparadies gewandelt werden.  In diese Kerbe schlug auch sein Nachfolger Philip Hammond. Hammond betonte, dass man das eigene Wirtschaftsmodell ändern müsse, um langfristig an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen. Man werde tun, was man tun müsse. Damit machte Hammond vor allem auch deutlich, dass hohe Einfuhrzölle eine Option seien. Bereits angekündigt hatte Mays Regierung, den Körperschaftssteuersatz auf das niedrigste Niveau aller Industrieländer senken zu wollen – eine klare Rückendeckung der heimischen Wirtschaft und eine Attacke Richtung EU.

Die rigorose Britin May entgegnete mit deutlichen Worten dem zuletzt stark gewachsenen öffentlichen und politischen Druck auf ihre Person. Die Rufe nach einer Grundsatzrede hatten sich bereits seit Ende Dezember stetig vermehrt. Die jetzige Ankündigung markiert damit eine Kehrtwende im bisherigen strategischen Versteckspiel der Verhandlungskandidatin und soll dem Verhandlungsgegner als auch der eigenen Nation Verhandlungsstärke demonstrieren. Dieses öffentliche Ritual, was auch häufig in Gewerkschaftsverhandlungen zum Tragen kommt, wird gerne als „Fensterverhandlung“ beschrieben. Die in den britischen Medien teils als „Theresa Maybe“ verspöttete Premierministerin legte nun ihre Verhandlungsstrategie  vermeintlich offen auf den Tisch – und das, obwohl May selbst zuvor mehrfach selbstbewusst darauf verwies, dass es der britischen Position nur schaden würde, wenn Details für den anstehenden Verhandlungspoker mit dem europäischen Festland ans Licht kommen würden. Zu groß sei die Gefahr, Großbritannien in eine schlechtere Position zu rücken. Andererseits war das vor allem medial viel gescholtene Schweigen alles andere als eine klar durchdachte Verhandlungsstrategie. So unterstellte unter anderem die Frankfurter Allgemeine der Premierministerin und ihrem Stab aufgrund widersprüchlicher Aussagen zuletzt ein „ratloses am Kopf kratzen“. May, die nur mit knapper Mehrheit im Parlament regiert stand nicht weit entfernt von einem politischen Fall, denn ein flächendeckender Eindruck von Schwäche, insbesondere mit Blick auf die anstehenden Verhandlungen kann in Großbritannien weitreichende Folgen nach sich ziehen. Zu groß ist der Stolz über das Erreichte. Beim Verhandlungspartner EU dürfte die Ankündigung Mays, sich auf einen harten Brexit vorzubereiten in Form einer Grundsatzrede zum jetzigen Zeitpunkt überraschen, doch generell zu erwarten gewesen sein. Zu drastisch waren die Forderungen der Brexit-Befürworter, vor allem mit dem Wegfall der Arbeitnehmerfreizügigkeit einen Grundpfeiler des Europäischen Verständnisses zum Einstürzen zu bringen. Immer wieder streuten britische Medien Gerüchte um laufende Ideen und Konzepte – etwa in Form von eigenen Freihandelsvertragen mit Indien, Australien oder den USA. Auch dies gleicht einer Machtdemonstration – Wir haben Alternativen zur EU. Wir werden nicht alles akzeptieren.

Der harte Kurs der britischen Premierministerin und Ihres Kabinetts wird die britisch-europäische Beziehung belasten, aber muss sie nicht zwingend zum Einstürzen bringen – zumindest nicht, wenn der anstehende Verhandlungspoker mit Vernunft, Sachverstand und einem gewissen Grad an Verantwortungsbewusstsein geführt wird.

Fazit vom Verhandlungsexperten Thorsten Hofmann

Theresa May hat es mit Ihren Aussagen nun geschafft, vorerst und in deutlicher Art und Weise ihr Machtverständnis zu signalisieren, auch wenn es an detaillierten Informationen zu der eigentlichen Interessenlage hinter all diesem Schattenboxen fehlt. Doch dies ist nicht weiter verwunderlich. Als Premierministerin weiß May Verhandlungen taktisch und mit einem gewissen Grad an Kalkül anzugehen. Ein Teil dessen ist schon an der Umformulierung der Thematik von einem „harten Brexit“ hin zu einem „klaren Brexit“ erkennbar. Mit diesem deutlichen Reframing signalisiert May der EU Verhandlungsbereitschaft. Die aufgebauten und nun auch erstmals in aller Macht öffentlich manifestierten Positionen müssen nicht zwingend in Zusammenhang mit jenen Positionen und den dahinterliegenden Interessen stehen, die im Verhandlungspoker mit der EU mit an den Tisch gebracht werden. Es wird Aufgabe der EU-Verhandler um Verhandlungsführer Michel Barnier sein dies herauszuarbeiten und auch festzustellen, ob sich hinter den öffentlich angerissenen Möglichkeiten Großbritanniens echte Alternativen verbergen oder nur Bluffs.


Zu Bluffs und Manipulationen in Verhandlung und mit dem Umgang damit erfahren Sie mehr von Thorsten Hofmann im Center for Negotiation der Quadriga Hochschule Berlin.


Bildquellen

  • Brexit: Elionas2, Pixabay | CC 0 Public Domain

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  • Brexit: Elionas2, Pixabay | CC 0 Public Domain

Thorsten Hofmann, C4 Center for Negotiation

Thorsten Hofmann ist Lehrbeauftragter für wirtschaftliches und politisches Verhandlungsmanagement und Krisenkommunikation an der Quadriga Hochschule Berlin. Er leitet das C4 Center for Negotiation.

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