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Streik ohne Drohpotenzial – Darum ist Glatteis die größere Gefahr für Amazon

Alle Jahre wieder . kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch der Weihnachtsstreik. Pünktlich zur Hauptlieferzeit vor Weihnachten ruft ver.di bei Amazon zum Arbeitskampf auf. Eigentlich der perfekte Zeitpunkt, wäre da nicht die geradezu provozierende Gelassenheit des Online-Riesen.

Weihnachtszeit ist Shoppingzeit. Das Geschäft der Einzel- und Versandhändler läuft auf Hochtouren. Verkaufsoffene Sonntage hier, Last-Minute-Angebote da … und mittendrin all die vielen Paketboten, die fleißig Päckchen um Päckchen ausliefern. Dass die Zahl der Pakete von Jahr zu Jahr zunimmt, überrascht kaum. Die Geschenkesuche verlagert sich mehr und mehr weg von der Fußgängerzone und hin zum Online-Handel. Einen Akteur freut diese Entwicklung ganz besonders: Amazon. Doch so lukrativ die Weihnachtszeit für den Online-Riesen, so verwundbar macht sie ihn auch.

Rund ein Viertel seines Jahresumsatzes erwirtschaftet der Online-Handel allein in den Monaten November und Dezember. Das zeigt, wie wichtig das Weihnachtsgeschäft für Amazon und Co. inzwischen geworden ist. Aber mit dem Umsatz steigt eben auch die Fallhöhe. Mehr Kunden, mehr Auftragsvolumen, mehr Medienaufmerksamkeit und das alles unter enormen Zeitdruck – ideale Voraussetzungen also, um mithilfe eines Warnstreiks Druck auf den Arbeitgeber auszuüben. Genau das versucht ver.di.

Weihnachtsstreiks? Juckt uns nicht!

An mehreren Logistikstandorten in ganz Deutschland sind die Beschäftigten aufgerufen, ihre Arbeit niederzulegen. Betroffen sind demnach die Standorte Koblenz, Rheinberg, Werne, Graben und zuletzt auch Leipzig. „Wo wir streiken, streiken wir flexibler“, erklärt ver.di-Chef Frank Bsirske gegenüber dpa. So werde es für Amazon immer schwieriger, die Streikfolgen auszugleichen. Ziel der Gewerkschaft ist es, Amazon zum Abschluss eines Tarifvertrags zu bewegen.

Diese Forderung ist nicht neu, im Gegenteil. Der Tarifkonflikt bei Amazon dauert bereits seit Frühsommer 2013 an. Und auch die Strategie von ver.di bleibt stets die gleiche: Pünktlich zum so wichtigen Weihnachtsgeschäft streiken die Beschäftigten. Und Amazon? Von Entgegenkommen bislang keine Spur. Stattdessen verfolgt der Online-Riese eine bewusst provokative Strategie. „Mal ehrlich: Wenn Glatteis ist, juckt uns das weit mehr, als wenn ver.di zum Arbeitskampf aufruft“, sagte Amazon-Deutschlandchef Ralf Kleber im vergangenen Jahr gegenüber dem Tagesspiegel. Amazon bleibt seiner Position treu: Man brauche keinen Tarifvertrag, um ein guter Arbeitgeber zu sein, so Kleber damals.

Tatsächlich hat Amazon allen Grund, entspannt zu sein

  1. Die Taktik ver.dis, pünktlich vor Weihnachten zu streiken, ist in den Jahren zuvor erfolglos geblieben.
  2. Dass die alljährliche Drohung bisher zu keiner Veränderung bei Amazon geführt hat, liegt schlichtweg an ihrer Planbarkeit.

Glatteis lässt sich eben schwerer planen, als eine immer wiederkehrende Bestreikung. Amazon hat sich Ausweichmöglichkeiten geschaffen, um die Kunden über andere Standorte trotzdem zu beliefern. Die finanziellen Einbußen bleiben somit überschaubar.

„Alternativen“ lassen angedrohte Sanktionen versanden

Ausweichmöglichkeiten sind in der Verhandlungssprache „Alternativen“. Je mehr mir davon zur Verfügung stehen, desto machtvoller bin ich am Verhandlungstisch. Bin ich alternativlos, so muss ich jede Forderung der Gegenseite akzeptieren. „Alternativen“ nehmen das Drohpotential aus der Verhandlung. Das Drohpotential „Streik vor Weihnachten“ verfängt somit nicht. Das Drohpotential „Öffentlichkeit“ hat in der Vergangenheit ebenfalls nicht bei Amazon gegriffen. Und angesichts der aktuell sehr dichten Nachrichtenlage scheint dies auch in diesem Jahr nicht zu wirken, von den Streikabsichten ist kaum etwas zu lesen.

Fazit vom Verhandlungsexperten Thorsten Hofmann

Will ver.di Amazon weiterhin an den Verhandlungstisch zwingen, so wird es nicht reichen, die erfolglosen Vorgehensweisen der Vergangenheit zu wiederholen. Im nächsten Jahr ist Bundestagswahl. Vielleicht findet sich ja dort der ein oder andere politische Allianzpartner…


Bildquellen

  • Glatteis: rkit, Pixabay | CC 0 Public Domain

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  • ice-567699_1280: rkit, Pixabay | CC 0 Public Domain

Thorsten Hofmann, C4 Center for Negotiation

Thorsten Hofmann ist Lehrbeauftragter für wirtschaftliches und politisches Verhandlungsmanagement und Krisenkommunikation an der Quadriga Hochschule Berlin. Er leitet das C4 Center for Negotiation.

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