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Taktische Empathie in Verhandlungen – Ein unterschätzter Erfolgsfaktor

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Der „rationale Akteur“ in Verhandlungen hat schon lange ausgedient. Spätestens seit die beiden Wissenschaftler, Psychologen und späteren Nobelpreisträger Amos Tversky und Daniel Kahneman an den kalifornischen Universitäten Stanford und Berkeley den „emotionalen Akteur“ Anfang der 70er Jahre in den Fokus nahmen und schließlich Emotionen als treibende Kraft für Verhalten, Denkweisen und Wahrnehmungsverzerrungen in den Mittelpunkt rückten. Eine 1994 gegründete Sondereinheit des FBI, die Critical Incident Response Group, experimentierte seit längerem mit therapeutischen Ansätzen, die an das menschliche Bedürfnis nach Akzeptanz appellieren. Es geht nun nicht länger darum, die gegnerische Seite durch logische Argumente zu überzeugen, sondern aus taktischen Gründen eine positive Beziehung zu ihr aufzubauen. Ziel dabei ist auf die Bildung von Urteilen über unsichere oder unbekannte Sachverhalte (Urteilsheuristik) Einfluss zu nehmen und mit kognitiven Verzerrungen zu arbeiten. Empathie statt Mathematik, emotionale statt rationale Problemlösung, so die neue Taktik. Und: Sie funktioniert!

Empathie gilt heute auch als Erfolgsgarant im Alltag, Beruf und natürlich auch in Verhandlungen. Gleichzeitig zeigen aktuelle Studien, dass wir immer mehr die Fähigkeit, die Motive und Emotionen anderer nachzuvollziehen verlieren. Doch wie kommt es zu diesem sogenannten „Empathie-Paradoxon“ und welche Rolle spielt Empathie wirklich in Verhandlungen?

Empathie in der Gesellschaft nimmt ab

Eine der bedeutendsten Studien, die sich mit der Veränderung der Empathie in unserer Gesellschaft auseinandersetzt, ist die Untersuchung der US-amerikanischen Psychologin Sara Konrath (2011). Sie und ihr Team beobachteten zwischen 1979 und 2009 rund 14.000 Studenten, deren Empathiefähigkeit im Laufe der Zeit trotz zunehmender Vernetzung durch Digitalisierung und Social Media stetig gesunken ist. Nicht nur der Top-Manager, sondern wir alle werden demzufolge immer unempathischer, nicht zuletzt weil uns die Leistungsgesellschaft unter ständigen Selbstoptimierungszwang stellt. Die zunehmende Globalisierung der Arbeitswelt und der verschärfte Wettbewerb haben den Druck auf schnelle Erfolge und Profite erhöht. Die Empathiefähigkeit scheint in unserer Gesellschaft immer weiter in den Hintergrund zu rücken.

Der Empathie-Quotient als Erfolgsgarant  

Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche wissenschaftliche Studien, die den Zusammenhang zwischen beruflichem Erfolg und Empathie belegen. Speziell in Zeiten der Digitalisierung und Technologisierung wird emotionale Intelligenz in der Arbeitswelt immer wichtiger: Wenn sich das Umfeld ständig wandelt und weiterentwickelt, müssen Manager und Führungskräfte die Bedarfslage ihrer Kunden und Mitarbeiter erkennen und verstehen, um angemessen zu reagieren und tragfähige Entscheidungen zu treffen. Während früher davon ausgegangen wurde, dass Menschen mit einem hohen Intelligenzquotienten (IQ) sehr viel erfolgreicher seien als andere Menschen, wird der emotionalen Intelligenz (EQ) heute im Job, Privatleben und auch in Verhandlungen sogar ein größerer Anteil am Erfolg zugesprochen als dem IQ. Empathie gilt als einer der wichtigsten Aspekte der emotionalen Intelligenz und setzt sich grundsätzlich aus zwei Teilaspekten zusammen: Erstens bedeutet es die Fähigkeit, die Gefühle und Motive des Gegenübers zu erkennen. Zweitens zeigt sich Empathie auch in der angemessenen Reaktion auf die beobachteten Signale durch entsprechende Emotionen und Verhaltensweisen. Den ersten Teil bezeichnet man als „kognitive Empathie“, den zweiten wiederum als „affektive Empathie“.

Empathie in Verhandlungen

Beide Aspekte von Empathie spielen in Verhandlungen eine zentrale Rolle. Sie müssen in der Lage sein, die Emotionen und stressbedingten Veränderungen bei Ihrem Verhandlungspartner zu erkennen und aktiv darauf einzugehen. Wenn Sie als Verhandlungsführer wollen, dass Ihr Gegenüber seine Meinung ändert, müssen sie dessen Motive, Gefühle und Verhaltensweisen verstehen. Empathie ist genau das – die Kunst zwischen den Zeilen zu lesen, die Perspektiven des anderen zu ergründen und entsprechend zu reagieren. Es geht in Verhandlungen nicht immer nur um rationale Entscheidungen. Erfolgreiche Verhandlungsführer benötigen die Fähigkeit, taktische Empathie gezielt einzusetzen, um damit das Verhalten ihres Gegenübers in die gewünschte Richtung zu lenken und am Ende als Gewinner aus der Verhandlung zu gehen.

Nonverbale Analyse – Beobachten, Interpretieren und Empathie zeigen

Für eine erfolgreiche Verhandlung müssen Sie im Stande sein, Ihr Gegenüber während der Gesprächsführung aktiv zu beobachten, ihn zu entschlüsseln und auf Basis der gesammelten Informationen angemessen reagieren. Das bedeutet nicht nur darauf zu achten, was Ihr Verhandlungspartner sagt, sondern auch wie er es sagt. Wortwahl, Stimmlage und Körpersprache sind für die Entschlüsselung der wahren Motive und Interessen letztendlich meist sogar wichtiger als das Gesagte. Auf welche Signale Sie achten müssen, habe ich Ihnen bereits in meinem Blogbeitrag über Adaptoren, Mimik und NOT-Face genauer erklärt. Eine besondere Rolle spielen in diesem Zusammenhang die sogenannten Mikroausdrücke, da sie – anders als die normale Körpersprache – nicht bewusst gesteuert werden können. Mikroexpressionen sind für das geschulte Auge sehr leicht zu erkennen: Es sind flüchtige mimische Signale, die nur einen Bruchteil einer Sekunde (40-500 ms) sichtbar sind. Und sie haben alle einen neurologischen Trigger als Auslöser.

Facial Action Coding System – Die Entschlüsselung der Mimik

Paul Ekman und Wallace Friesen haben die Bedeutung der Mimik und der Mikroexpressionen früh erkannt. 1978 entwickelten die beiden Psychologen das sogenannte Facial Action Coding System (FACS), ein heute weltweit von Psychologen angewandtes Verfahren zum Decodieren nonverbaler Signale. Es verschafft uns die Möglichkeit, auf der Grundlage von kleinsten mimischen Reaktionen die Emotionen des Gegenübers genau zu erkennen und zu entschlüsseln. Kennt man das Alphabet der Mimischen Expressionen ist das Erkennen der schnellen Signale leicht. Für alle ungeschulten Augen bleibt es ein Buchstabensalat. In unseren Verhandlungsseminaren, besonders im Seminar ADVANCED II lernen Sie den professionellen Umgang mit dem FACS, der Ihnen die Beobachtung in Verhandlungen erheblich erleichtern wird.

Taktische Empathie in Verhandlungen – Vertrauen gewinnen

Die Beobachtung, Entschlüsselung und Interpretation von Emotionen und Motiven Ihres Gegenübers ist nur ein Aspekt der erfolgreichen Verhandlungsführung. Gleichzeitig müssen Sie im Sinne der affektiven Empathie angemessen auf die beobachteten Gefühle Ihres Verhandlungspartners eingehen. Setzen Sie Ihre Beobachtung gezielt ein und demonstrieren Sie taktische Empathie, um Bindungen aufzubauen, sie dauerhaft zu erhalten und immer wieder zu erneuern. In der Verhandlungsausbildung von FBI und CIA nennt man diesen professionellen Verhandlungsaufbau auch taktische Empathie. In Verhandlungen brauchen Sie eine vertrauensvolle Beziehung, um zu Ihrem Gegenüber durchzudringen, Einsichten in seine Argumente, Beweggründe und Motive zu bekommen, seine Schmerzgrenze in der Verhandlung zu erkennen und letztlich die Verhandlung zu kontrollieren. Und vor allem brauchen Sie eine tragfähige Beziehung damit Ihr Gegenüber sich überhaupt von Ihnen kontrollieren lässt. Bedeutet am Ende: Taktische Empathie und eine tragfähige Beziehung zum Verhandlungspartner sind erfolgskritische Faktoren und entscheidend für Ihren Verhandlungserfolg. In meinem Buch „Das FBI-Prinzip“ erkläre ich Ihnen, wie Sie zu Ihrem Verhandlungspartner mit dem gezielten Einsatz von taktischer Empathie eine stabile Beziehung aufbauen können.

Mit affektiver und kognitiver Empathie zum Verhandlungserfolg

Empathie ist ein unterschätzter Erfolgsgarant – das gilt im Privatleben genauso wie im Job oder in Verhandlungen. Wer erfolgreich sein will, muss nicht nur die Gefühle und Motive seines Gegenübers verstehen, sondern auch darauf eingehen und seine Verhaltensweisen entsprechend anpassen. Argumente sind in Verhandlungen zweitrangig. Entscheidend für den Verhandlungserfolg ist die Fähigkeit, eine tragfähige Beziehung zum Gegenüber aufzubauen und ihn damit zu kontrollieren. Und genau das erreichen Sie, in dem Sie gezielt und richtig dosiert taktische Empathie einsetzen.


Fotos:

  • Agreement: TeroVesalainen, Pixabay  | CC0 Public Domain

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Thorsten Hofmann, C4 Center for Negotiation

Thorsten Hofmann ist Lehrbeauftragter für wirtschaftliches und politisches Verhandlungsmanagement und Krisenkommunikation an der Quadriga Hochschule Berlin. Er leitet das C4 Center for Negotiation.

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