Stolperfalle oder Wunderwaffe? Digitales Verhandeln per E-Mail
Unsere Kommunikation verlagert sich mehr und mehr in die digitale Welt. Auch Verhandlungen werden zunehmend per E-Mail geführt. Denn vielen fällt es leichter, ihre Argumente in Schriftform zu erörtern, als in einem womöglich emotional aufgeladenen Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Aber erhöht das digitale Verhandeln wirkliche die Erfolgsaussichten?
E-Mails sind aus dem beruflichen Alltag nicht mehr wegzudenken. Dabei haben die E-Mail-Flut und der damit wachsende Anspruch, ständig und überall erreichbar zu sein, nicht nur Auswirkungen wie oft wir kommunizieren, sondern vor allem auch wie. Statt das persönliche Gespräch zu suchen, schreiben wir „mal eben schnell eine E-Mail.“ Gerade bei unangenehmen Themen scheuen viele den direkten Kontakt, zu verlockend ist der digitale Postweg. Warum auch nicht, die vermeintlichen Vorteile liegen auf der Hand: man kann sich in Ruhe Gedanken machen, wie man etwas formuliert, man muss umgekehrt nicht unmittelbar reagieren, sondern kann sich seine Antwort ebenso wohl überlegen und vor allem funken keine ungewollten Emotionen dazwischen. Eigentlich ideale Ausgangsbedingungen, um einen Konflikt aus der Welt zu schaffen, und damit doch eigentlich auch für Verhandlungen per se, oder? Falsch! Tatsächlich bewirkt die Kommunikation per E-Mail in Verhandlungssituationen oft genau das Gegenteil.
Nicht das Argument, sondern taktische Empathie führt zum Verhandlungserfolg
Dass Verhandlungen mit überzeugenden Argumenten zu gewinnen sind, ist ein ebenso hartnäckiger wie fataler Trugschluss. Mit Argumenten überzeugen wir uns in erster Linie selbst, nicht aber unser Gegenüber. Im schlimmsten Fall wirken Argumente sogar als echte Verhandlungskiller. Warum das so ist, habe ich kürzlich im Gespräch mit dem Deutschlandfunk Kultur eingehend erläutert. Ein Grund dafür ist, dass die Entscheidung, ob eine Verhandlung erfolgreich sein wird oder nicht, in vielen Fällen bereits gefallen ist noch ehe die Verhandlung überhaupt begonnen hat. Entscheidend ist die Fähigkeit, eine tragfähige Beziehung zum Gegenüber aufzubauen und ihn damit zu kontrollieren. Einen solchen professionellen Beziehungsaufbau nennt man in der Fachsprache „taktische Empathie“. Taktische Empathie besteht aus einer Reihe von Instrumenten und wird eingesetzt, um einen Rapport aufzubauen. Dieser ist deshalb so wichtig, weil Menschen bei bestehendem Rapport einander tendenziell positiver bewerten, sich eher vertrauen und Gesagtes weniger kritisch aufnehmen. In Verhandlungen brauche ich eine vertrauensvolle Beziehung, um zu meinem Gegenüber durchzudringen, seinen Unglauben an meine Worte zu reduzieren, seine Gedankenwelt aufzubohren und meine Strategie zielführend anzuwenden. Und vor allem brauche ich einen Rapport, damit mein Gegenüber sich überhaupt auf meine Argumente einlässt. Bedeutet: ein tragfähiger Rapport erhöht meine Chancen auf Erfolg. Das gilt für einen Vertragsabschluss ebenso wie für Verhandlungen per E-Mail. Und weil das so ist, enden diese häufig in der Sackgasse.
Kein Rapport ohne Emotionen
Eine Beziehung aufzubauen heißt nicht, dass ich mich mit jedem Verhandlungspartner anfreunden muss. Vielmehr lässt sich der Rapport auch mithilfe bestimmter Verhandlungstaktiken herstellen. Sie im Einzelnen darzustellen, würde an dieser Stelle zu weit führen (weitere Informationen hierzu finden Sie in meinem kürzlich erschienenen Buch „Das FBI-Prinzip“). Entscheidend im Hinblick auf das E-Mail-Dilemma ist, dass der Beziehungsaufbau bzw. das Erzeugen von Sympathie, immer etwas mit Emotionen zu tun. Genauer gesagt mit der Fähigkeit, eigene und fremde Gefühle (korrekt) wahrzunehmen, zu verstehen und zu beeinflussen. Man spricht hier von emotionaler Intelligenz (EQ). Genau die droht jedoch in der digitalen Kommunikation mehr und mehr verloren zu gehen. Denn Emotionen lassen sich vor allem über nonverbale Signale, etwa die Stimmlage oder die Mimik erkennen: ein Zittern in der Stimme kann ein Zeichen für Nervosität sein, zusammengezogene Augenbrauen ein Zeichen für Ärger, usw. Das alles sind wichtige emotionale Informationen für Verhandlungen. Informationen, die in E-Mails gerne verloren gehen, weil Gefühle nun mal nicht in, sondern oftmals zwischen den Zeilen stehen. Das gilt besonders für den beruflichen Kontext, in dem Emotionen generell verpönt sind und im professionellen digitalen Schriftverkehr erst recht nichts zu suchen haben.
In E-Mails sind wir emotional besonders inkompetent
Fassen wir kurz zusammen: Verhandlungen per E-Mail suggerieren höhere Erfolgsaussichten, weil sich Emotionen eher ausblenden lassen als bei anderen Kommunikationsformen wie dem persönlichen Vier-Augen-Gespräch oder einem Telefonat. In Wahrheit erhöht jedoch genau das die Gefahr des Scheiterns, weil der Beziehungsaufbau als Basis einer erfolgreichen Verhandlung erschwert wird. Das liegt daran, dass in E-Mails generell weniger nonverbale Signale gesendet werden können. Hinzu kommt allerdings auch die mangelnde Fähigkeit, die Emotionen, die per E-Mail transportiert werden, richtig zu deuten. Forscher der New York University, der University of Chicago und der University of Illinois in Urbana-Champaign haben herausgefunden, dass Menschen sowohl die Fähigkeit des Empfängers überschätzen, den emotionalen Ton (Sarkasmus, Humor, etc.) einer E-Mail richtig zu interpretieren, als auch die eigene Fähigkeit, einen emotionalen Ton per E-Mail zu transportieren.
Emojis als Verhandlungsinstrument?
Das Problem der mangelnden Emotionalität in der digitalen Kommunikation ist nicht neu. Es hat vielmehr den Weg geebnet für eines der charakteristischsten Phänomene unserer heutigen Zeit: die Emojis. Spätestens seit WhatsApp kennt jeder den Affen, der sich die Augen zuhält, oder das sog. „Heul-vor-Glück-Smiley“. Letzteres wurde 2015 von den Oxford Dictionaries sogar zum Wort des Jahres gewählt und auch Hollywood ist auf den Zug aufgesprungen und hat den bekannten Piktogrammen einen eigenen Kinofilm gewidmet. Manche Beobachter sprechen inzwischen vom Siegeszug der Emojis. Ob sie auch zum Sieg in E-Mail-Verhandlungen verhelfen können, darf jedoch bezweifelt werden. Zum einen ist fraglich, ob sie die fehlenden nonverbalen Signale adäquat ersetzen können. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür wäre, dass sie eindeutig und universell verstanden und interpretiert werden können, so wie das beispielsweise bei den mimischen Erkennungsmerkmalen der kulturübergreifenden Basis-Emotionen Angst, Überraschung, Ärger, Ekel, Verachtung, Trauer und Freude der Fall ist. Zum anderen deutet eine aktuelle Studie namens „The Dark Side of a Smiley“ darauf hin, dass Emojis gerade im beruflichen Kontext sogar eher eine negative Wirkung haben, da sie vom Gegenüber als Zeichen von Inkompetenz und Unprofessionalität gewertet werden.
Fazit:
Emotionen entscheiden maßgeblich über Erfolg oder Misserfolg einer Verhandlung. Wer seinen Gefühlen unkontrolliert freien Lauf lässt, läuft Gefahr, die Beziehung zum Gegenüber und damit auch den Verhandlungserfolg nachhaltig zu zerstören. Schafft es man es jedoch, nicht nur die eigenen Emotionen, sondern auch die des Verhandlungspartners zu kontrollieren und zu steuern, hält man eine wahre Verhandlungswunderwaffe in der Hand. Indem man Verhandlungen per E-Mail führt, gibt man diese direkte Kontrolle jedoch leichtfertig aus der Hand. Denn die so erfolgskritischen nonverbalen Signale, auch die bei Unsicherheit und Täuschungen, lassen sich schwerer erkennen und auch schwerer strategisch einsetzen. Daran ändern auch Emojis nichts. Ein Emojis ersetzt ein echtes sympathisches Lächeln ebenso wenig wie eine E-Mail eine echtes Vier-Augen-Gespräch ersetzt. Nicht umsonst finden wichtige Verhandlungen noch immer am runden Verhandlungstisch und hinter verschlossenen Türen statt.
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