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Das Hoffen der Theresa May – Startschuss für den Brexit-Verhandlungsmarathon

In Brüssel wurde der Weg freigegeben für einen Verhandlungsmarathon, der seinesgleichen sucht. Seit dem 19. Juni sitzen sich EU und das Vereinigte Königreich gegenüber, um über die konkrete Ausgestaltung des Brexit zu verhandeln. Während sich die EU selbstbewusst und überzeugt präsentiert, versucht die angeschlagene britische Premierministerin Theresa May ihre durch die Wahl angeschlagenen Souveränität zu überspielen.

Es sind chaotische Verhältnisse auf der Insel und sie werden mitbestimmend sein für die nun anlaufenden Verhandlungen. Ein Blick auf den Verhandlungstisch.

Theresa May ist in diesen Tagen wahrlich nicht zu beneiden. Eine Wahlschlappe im Rücken, Spekulationen über eine gänzliche Neuausrichtung der Brexit-Politik, negative Medienschelte aus der EU, die den Fuß aufs zeitliche Gaspedal setzt und obendrein noch das drohende Aufflammen eines Konflikts in Nordirland. Ein solides Verhandlungsmandat und eine optimale Verhandlungsplanung sieht anders aus.

Der Start am Montag, den 19. Juni 2017 hat einen engen Zeitplan eingeläutet. Bis Ende März 2019 müssen mehr als 21.000 EU-Richtlinien und Gesetze in rund 500 Verhandlungstagen abgestimmt werden. Bis Herbst 2017 sollen die Bedingungen der Trennung und die finanziellen Pflichten Londons geklärt werden, bis zum Oktober 2018 dann die Eckpunkte der künftigen Beziehungen. Unabhängig vom engen Zeitplan ist der Blick auf die eigentlichen Verhandlungsinhalte vor allem aus Verhandlungstheoretischer Perspektive von Bedeutung.

EU gibt die Marschroute vor 

Die EU gibt sich in diesen Tagen betont optimistisch und setzt einen inhaltlichen Anker in der Verhandlung: Der Brexit dürfe keine Kompromisse zulassen, so der eingängige Tenor. Außerdem müssen die zuerst die Bedingungen für den Austritt verhandelt werden. Erst danach werden die Parameter für die weitere Handelsbeziehung zwischen EU und der Insel geklärt. Mit der Vorlage der Verhandlungsagenda hat die EU sich den organisatorischen Hut aufgesetzt und einen weiteren Anker zum Steuern der Verhandlung gelegt.

Somit startet die EU mit inhaltlichem und zeitlichen Druck in die Verhandlung. Eine Gegenwehr von britischer Seite ist ausgeblieben und somit hat sich der Spielball zum Start der Verhandlungen auf die ohnehin stark besetzte europäische Seite verlagert. Konkret bedeutet dies: in den ersten zwei Wochen eines jeden Monats arbeiten beide Seiten an ihren Verhandlungspositionen, in der dritten Woche wird gemeinsam verhandelt und in der vierten Woche die erzielten Ergebnisse ausgewertet und analysiert.

In nur 15 Minuten einigten sich die 27 verbliebenen EU-Staaten auf ihre Verhandlungsposition und statteten dem dafür aufgestellten Team ein klares Mandat aus. Oberstes Ziel dabei: Rechtssicherheit für die über fünf Millionen EU-Bürger in Großbritannien mit lebenslangen und vor allem sicheren Status in allen Belangen. Dazu kommt der Verlust des Zugangs zum EU-Binnenmarkt für die Briten. Dieselben Rechte zu haben wie ein EU-Mitgliedsstaat sei unmöglich. Hinzu kommt, dass Großbritannien auch nach dem Brexit allen finanziellen Verpflichtungen nachkommen soll, die mit der Zeit als EU-Mitglied verbunden waren.

Eine weitere Kernforderung ist die territoriale Einheit Großbritanniens – vor allem mit Blick auf Nordirland, denn mit dem Brexit drohen unter anderem auch Grenzkontrollen, die die Wirtschaft und den Frieden belasten könnten.

Mit dieser schnellen Einigung zeigt die EU Geschlossenheit und stattet ihr Team mit einem starken Verhandlungsmandat aus. Dieses medial darzustellen setzt die geschwächte UK-Regierung weiter unter Druck.

Alte Hasen am Verhandlungstisch 

Interessant ist der Blick auf das europäische Verhandlungsteam, bestehend aus einer taktisch hochdurchdachten Mischung von hochrangigen Charakteren. Für die Kommission steht da Michael Barnier. Als Chefverhandler kann er nicht nur auf eine steile politische Karriere zurückblicken, sondern ist darüber hinaus mit einer enormen wirtschaftlichen Expertise ausgestattet. Vier Jahre lang war er in Brüssel für den europäischen Binnenmarkt zuständig, profilierte sich während der Finanzkrise als Verhandler und war maßgeblich am Plan der gemeinsamen Bankenaufsicht beteiligt. In der City of London sagt man, sei Barnier damals als „gefährlichster Mann Europas“ betitelt worden.

An seiner Seite steht für den Rat Didier Seeuws, Leiter der „Task Force“ der EU für die Austrittsverhandlungen. Er gilt als High-Class-Negotiator und ist mit Erfahrungsreichtum und Verhandlungsfähigkeiten ausgestattet, die in den nun anstehenden Verhandlungen nützlich sein können. Als Absolvent der belgischen Diplomatenschule wird er in den Reihen der EU Diplomaten als eine Person gehandelt, „an der sich die Briten die Zähne ausbeissen würden“, so ein EU-Spitzendiplomat im Deutschlandfunk. Dazu kommt Seeuws hervorragende politische Vernetzung. In den Medien wird sein Charakter als taktvoll, aber kalkuliert betitelt. Eine Person, die sein Gegenüber immer genau beobachte, sehr aufmerksam zuhöre und vor allem versuche die Denkweise des Gegenübers zu identifizieren – die Basis einer erfolgskritischen Verhandlung. Fallstricke aufspüren und einen Weg aus schier ausweglosen Situationen zu finden, sei für Seeuws kein großes Problem.

Und dann wäre da noch Guy Verhofstadt, Chef der liberalen ALDE-Fraktion im Parlament, ehemaliger belgischer Premier und Brexit-Unterhändler. Auch er sitzt am Verhandlungstisch. Im Gegensatz zu seinen Teamkollegen ist der vehemente Europa-Verfechter ein Mann der großen Worte. Seine Reden im Parlament gehen viral, bei Kritik nimmt er kein Blatt vor den Mund. Er ist der mediale Taktgeber und wusste bereits im Vorfeld der Verhandlungen die Schlagzeilen zu prägen. „Den Briten stünde der Weg offen, ihre Meinung zu ändern und wieder Teil der EU zu sein“, so der bekennende Föderalist. Er wird die öffentliche Meinung außerhalb des Verhandlungstisches steuern und damit Druck auf den Verhandlungsgegner aufbauen. Klar ist jedenfalls, dass Verhofstadt alles andere als die Rolle eines ruhigen Verhandlungsgegners einnehmen wird.

Neben dem eingeübten Team ist die EU zudem mit einem klaren Mandat ausgestattet, denn die europäischen Staats- und Regierungschefs haben die klaren politischen Leitlinien verabschiedet: Erst wird über den Austritt und erst danach über die Zukunft der Briten in Europa verhandelt.

Das britische Team ist mit einer breiten Mischung verschiedener, sehr bunter Charaktere besetzt. Dies wird vor allem an der Person Boris Johnson deutlich. Johnson machte vor allem in seiner Rolle als Londoner Bürgermeister auf sich aufmerksam. Bunt, offensiv und nicht immer d’accord mit den britischen Leitmedien peitschte der jetzige Außenminister als eine der schillerndsten Figuren der Brexit-Kampagne das Bestreben eines Austritts voran. Ein Mann für die lautstarke Kampagne, der es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Ihm zur Seite steht mit David Davis ein gänzlich diplomatischerer Charakter. Er gilt als hochkompetenter politischer Strippenzieher und wird für das EU-Team sicherlich ein hartnäckiger Verhandlungsgegner sein. Zusammen mit dem dritten Verhandlungspartner im Bunde, dem Handelsminister Liam Fox gelten alle drei als Brexit-Hardliner und vertreten die einhellige Meinung eines harten Brexit ohne Kompromisse. Sie müssen als Team jedoch nicht nur am Verhandlungstisch bestehen, sondern auch an der zersplitterten politischen Heimatfront vielfältige Verhandlungen führen. Eine kräftezehrende Zusatzaufgabe, die ihre Ressourcen fordern wird.

Fazit: Die EU nimmt sich die Verhandlungsführung

Sowohl EU als auch Großbritannien stehen vor den schwierigsten Verhandlungen ihrer Geschichte. Obwohl beim Startschuss des Marathons Lächeln und Händeschütteln eine fast schon freundschaftliche Atmosphäre suggerierten, werden äußere Einflüsse unweigerlich den Verhandlungsablauf bestimmen.

Das Verhandlungsteam der EU ist mit einem klaren Mandat ausgestattet. Dieses beinhaltet auch eine klare Walk Away Position, also den Punkt an dem das Team die Verhandlung abbricht oder diese in eine Sackgasse steuert. Zudem hat die EU inhaltliche und zeitliche Anker gesetzt, die Agenda der Verhandlung bestimmt und die mediale Deutungshoheit in der Verhandlung übernommen. Ein gut aufgestelltes und erfahrenes Team mit klarer Rollenverteilung ist ein weiterer positiver Faktor für die bestehenden Verhandlungen.

Mandat, Zeit, Deutungshoheit und Teamaufstellung sind Machfaktoren in der Verhandlung. Mit diesen Mitteln hat die EU ihre Verhandlungsmacht erhöht, sich die Verhandlungsführung erobert und sitzt nun im „Driver Seat“.

 

Erfahren Sie mehr zu Machtfaktoren und deren Einsatz in der Verhandlung in den Advanced Business Negotiation Seminaren meines Instituts C4.


Bildquellen

  • Brexit: daniel_diaz_bardillo, Pixabay | CC 0 Public Domain

Thorsten Hofmann, C4 Center for Negotiation

Thorsten Hofmann ist Lehrbeauftragter für wirtschaftliches und politisches Verhandlungsmanagement und Krisenkommunikation an der Quadriga Hochschule Berlin. Er leitet das C4 Center for Negotiation.

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