Aggressiv verhandeln – Wenn es hilft!
Um bessere Verhandlungsergebnisse zu erzielen, wird oft auf den strategischen Einsatz von Emotionen gesetzt. Insbesondere Wut, die in Form einer aggressiven Verhandlungsführung zur Schau gestellt wird, ist ein beliebtes Mittel, um das Verhandlungsgegenüber einzuschüchtern und zu Zugeständnissen zu bewegen. Doch der Einsatz von Emotionen in Verhandlungen sollte mit Vorsicht bedacht werden, da sich diese schnell gegenteilig auswirken können. Lohnt es sich also, aggressiv zu verhandeln?
Aggressionen am Verhandlungstisch: Nicht immer schädlich
Wenn Sie aggressiv auftreten, ohne einen Grund zu haben, werden Sie damit höchst wahrscheinlich scheitern. Das konnte in mehreren Studien, u.a. von Côté, Hideg und van Kleef belegt werden. Wer schlecht schauspielert, dem wird sein Verhandlungsgegenüber misstrauisch gegenüberstehen und die Vertrauensbasis, Grundlage einer jeden erfolgreichen Verhandlung, kann nicht entstehen.
Auch wenn Sie durch aggressives Verhalten zunächst ein besseres Verhandlungsergebnis erzielen, werden Sie es sich langfristig wohl mit Ihrem Verhandlungsgegenüber verscherzen. Das legen weitere Studienergebnisse von van Kleef in Zusammenarbeit mit Lu Wang von der Universität New South Wales und Northcraft von der Universität Illinois nahe. In Experimenten fanden sie heraus, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die in einer Verkaufsverhandlung mit einer aggressiven Person konfrontiert waren, sich schlecht behandelt fühlten und sich bei späterer Gelegenheit dafür rächten.
Doch auch real empfundene Emotionen können mehr Schaden als Nutzen verrichten. Die Wissenschaftler Yip und Schweitzer fanden in einer 2016 veröffentlichten Studie heraus, dass empfundene Wut die Empathie verringert und niederes Verhalten begünstigt. Auch auf die eigene Leistungsfähigkeit in Verhandlungen wirken sich Aggressionen also deutlich negativ aus.
Wo Aggressionen nützen können
Abseits vom Verhandlungstisch kann sich ein aggressives Vorgehen jedoch durchaus lohnen. Zum Beispiel bei der Festlegung von Rahmenbedingungen für die Verhandlung. Rahmenbedingungen können Zeit, Ort und Agenda sein. Auch die Teilnehmeranzahl und die Reihenfolge der Themen gehören zu diesem Spektrum. Ziel ist es dann, über die Umstände und das Setting Druck auf das Verhandlungsgegenüber auszuüben und dieses so zu mehr Zugeständnissen zu bewegen. Am Verhandlungstisch wiederum wird dann der Einsatz taktischer Empathie umso stärker empfunden und durch das Kontrasterlebnis seine Wirkung entfalten.
Der Fall Boris Johnson
Wie gut das funktionieren kann, zeigte Großbritanniens Premierminister Boris Johnson im Zuge der Brexit-Verhandlungen. Hier setzte Johnson zunächst einen straffen Zeitplan, indem er eine Fristverlängerung über den 31. Oktober hinaus konsequent ausschloss und diese beständig mit aggressiver Rhetorik untermauerte. So sagte er beispielsweise, er läge lieber „tot im Graben“ als bei der EU eine Fristverlängerung zu beantragen und drohte damit, Großbritannien ohne ein Abkommen aus der EU zu führen.
Neben dem Zeitdruck versuchte sich Boris Johnson durch aggressive Rhetorik als Verfechter des Volkswillens gegen das eigene Parlament zu inszenieren und mit dem Rückhalt der Öffentlichkeit anschließend den Druck auf die EU und die heimischen Abgeordneten zu erhöhen. Das vom Parlament verabschiedete Gesetz, welches ihn im Falle einer nicht erfolgten Einigung mit der EU zur Beantragung einer Verlängerung verpflichtet, nannte Johnson „Kapitulationsgesetz“, den noch nicht erfolgten EU-Austritt bezeichnete der als „Verrat“.
Die aufgebaute Drohkulisse und der öffentliche Druck wirkten: Nicht nur einigte sich Großbritannien mit der EU auf einen Brexit-Deal, auch das britische Unterhaus stimmte erstmals einer Prüfung der Gesetze zur Umsetzung des Abkommens zu. Auch wenn der Brexit damit noch längst nicht erledigt ist, konnte Johnson so einen ersten wichtigen Schritt Richtung EU-Austritt für sich verbuchen.
Fazit
Am Verhandlungstisch richtet aggressives Verhalten grundsätzlich mehr Schaden als Nutzen an. Bei der Rahmensetzung und Festlegung von äußeren Umständen kann ein aggressives Vorgehen als taktisches Mittel hingegen zu einem positiven Verhandlungsergebnis beitragen. Das angewandte Kontrastprinzip zwischen vorhergegangener Aggressivität bei den Rahmenbedingungen und nachfolgender taktischer Empathie am Verhandlungstisch optimiert das eigene Ergebnis der Verhandlung.
Quellen:
- Côté, S., Hideg, I., & van Kleef, G. A. (2013). The consequences of faking anger in negotiations. Journal of Experimental Social Psychology, 49(3), 453-463.
- van Kleef, G. A., De Dreu, C. K. W., & Manstead, A. S. R. (2004). The Interpersonal Effects of Anger and Happiness in Negotiations. Journal of Personality and Social Psychology, 86(1), 57-76.
- Wang, L. & Northcraft, G. & van Kleef, G.A. (2012). Beyond negotiated outcomes: The hidden costs of anger expression in dyadic negotiation. Organizational Behavior and Human Decision Processes. 119. 54-63.
- Yip, J.A. & Schweitzer M.E. (2016). Mad and misleading: Incidental anger promotes deception. Organizational Behavior and Human Decision Processes 137, 207-217
- https://www.morgenpost.de/politik/ausland/article227203111/Scharfe-Kritik-an-Boris-Johnson-wegen-schaendlicher-Rede.html
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