„Zug um Zug“ – Der Handelsstreit zwischen USA, China und der EU
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„Wie du mir, so ich Dir“ oder „Zug um Zug“ – ein Prinzip, das man vielmehr im Sandkasten als in der internationalen Handelspolitik vermuten würde. Was der Laie nicht nachvollziehen kann, ist für den Profi ein psychologisches Arbeiten mit der Urteilsheuristik des Verhandlungsgegners. Im Handelsstreit zwischen USA, China und der EU kommt genau diese Verhandlungsstrategie zur Anwendung, um ein „unfreundliches Verhalten“ einzubremsen. Donald Trump beginnt mit der Erhöhung der Strafzölle, was eine Kette Gegenaktionen bei anderen Nationen auslöst. Ein Verhalten, das an die sogenannte „Tit-for-Tat“-Strategie erinnert. Insbesondere die USA und China haben sich so in ein Gefangenendilemma manövriert, das nun zu eskalieren drohte. Wie konnte es dazu kommen und gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma?
Bereits seit Januar dieses Jahres droht die Situation zwischen Washington und Peking zu eskalieren: Der US-Präsident drohte zuerst und belegte danach chinesische Solarpanele und Waschmaschinen mit einem Sonderzoll. China setzte den Drohungen der USA eigene Drohungen gegenüber. Freundlich, aber äußerst bestimmt. Und als die Sonderzölle tatsächlich in Kraft traten, folgte die operative Reaktion aus China: Lebensmittel aus den USA, vor allem Schweinefleisch, wurden ebenfalls mit Zöllen bepreist. Auf beiden Seiten waren Waren im Umfang von circa drei Milliarden Dollar künstlich besteuert worden. Parallel gab es aber klare Signale von China, dass man zum Status Quo zurückkommen oder verhandeln kann. Der Ton blieb weiterhin friedlich. Hart in der Sache, aber weich zur Person.
Zu diesem Zeitpunkt hätte der Streit theoretisch bereits ein Ende finden können, hätte Donald Trump nicht weiter ernst gemacht. Seine Reaktion: Der Erlass weiterer Strafzölle auf zahlreiche chinesische Produkte im Umfang eines Warenwertes von circa 50 Milliarden Dollar. China verstand dies als Aufforderung, wiederum zurückzuschlagen und erließ, ganz im Sinne des Credos „Zug um Zug“, wiederum Strafzölle auf US-Produkte im Wert von 50 Milliarden Dollar.
Sie ahnen, was als nächstes passierte: Donald Trump drohte mit Zöllen auf chinesische Exportprodukte im Wert von 200 Milliarden Dollar. Eine Geschichte, die kein Ende zu kennen scheint – weder Washington noch Peking stecken zurück. Und auch die EU ist in das Hin und Her involviert: Donald Trump hatte Sonderzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte aus der EU verhängt. Die EU reagierte mit Vergeltungszöllen auf US-Produkte, unter anderem Whiskey, Jeans und Motorräder. Nun drohen aus Washington erneut Strafzölle. Dieses Mal auf den Import europäischer Autos.
„Tit for Tat“ oder „Zug um Zug“
Das Gebaren der Wirtschaftsmächte erinnert stark an die „Tit for Tat“ – Strategie, die grob mit „Zug um Zug“ oder „Wie Du mir, so ich Dir“ übersetzt werden kann. Tit for tat meint also harte Strategien (Druck) mit harten Strategien (Druck) zu beantworten, aber Kooperationssignale zu senden und auch unmittelbar auf Kooperationssignale der Gegenseite zu reagieren. In der Spieltheorie bezeichnet „Tit for Tat“ eine Strategie für wiederholte Gefangenendilemmata. Ein Spieler, der die „Tit for Tat“ – Strategie anwendet, beginnt die Interaktion mit einem kooperativen („freundlichen“) Verhalten. Danach adaptiert er jeweils den letzten Zug des anderen Spielers.
Bereits in den 1960er Jahren wurde die Strategie von Anatol Rapoport erarbeitet. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde „Tit for Tat“ jedoch erst durch das Buch „Die Evolution der Kooperation“ von Robert Axelrod bekannt, in dem der Autor einen Erfolg der Strategie in einem Zweipersonen-Wettkampf bei einem Computer-Turnier beschreibt. Das Muster ist folgendes: Hat der Gegenspieler zuvor kooperiert, so kooperiert auch der „Tit for Tat“ – Spieler. Hat der Gegenspieler in der Vorrunde jedoch hingegen „defektiert“, das heißt unfreundlich reagiert, dann antwortet der „Tit for Tat“ – Spieler zur Vergeltung gleichermaßen mit Defektion. Hierbei wird der Ansatz der beschränkten Vergeltung eingesetzt. Ein Regelverstoß wird auf gleiche Art und Weise sanktioniert. Dabei werden aber immer Kooperationssignale gesendet, d.h. man zeigt sich weiterhin sehr Gesprächsoffen. Ziel ist die Strafen gering und die Belohnungen hoch zu halten. Hiermit wird zusätzlich das Risiko gemindert, dass die andere Partei, die mit einem Regelbruch (oder auch unfairen Verhalten) einen Erfolg erzielt, diesen Regelbruch verstärkt. Was einmal funktioniert, klappt auch mindestens ein zweites Mal. Zusätzlich kann bei einer Nicht-Reaktion auf einen Regelbruch ein falsches Signal gesendet werden: das der Schwäche.
Risiko: Missverständnisse
Zwei potenzielle Probleme der „Tit for Tat“ – Strategie sind die schnelle Provozierbarkeit sowie der Vergeltungsautomatismus. Die Anwendung der Regel ist generell in Situationen gefährlich, in denen die Reaktion des Interaktionspartners nicht richtig erkannt oder interpretiert werden kann. Wird eine Aktion fälschlich als Defektion erkannt, ist ein Missverständnis aufgetreten. Eine fälschlich als unfreundlich erkannte Aktion löst bei einem „Tit-for-Tat“ – Spieler sofort eine eigene unfreundliche Reaktion aus.
So wurde beispielsweise im Jahre 1987 die amerikanische Botschaft in Moskau von sowjetischen Agenten abgehört und ausspioniert. Als Reaktion darauf verringerten die USA die Zahl der in Washington zugelassenen sowjetischen Diplomaten. Die Gegenreaktion der Sowjets folgte zugleich: Sie zogen die einheimischen Hilfskräfte von der Moskauer US-Botschaft zurück. Zudem verlangten sie eine Verkleinerung der amerikanischen Delegation. Letzten Endes wurde es für beide Parteien schwieriger, ihrer diplomatischen Tätigkeit nachzugehen. Die Sowjets begannen mit einem unfreundlichen „Zug“, die US-Amerikaner interpretierten die Spionage ihrer Agenten als unfreundlichen Akt, dem sie gemäß der „Tit for Tat“ – Logik eine Vergeltung folgen ließen. Denkbar ist hier jedoch, dass ein Missverständnis vorlag: Womöglich interpretierten die Russen das Verhalten der USA, die Anzahl russischer Diplomaten zu verringern, als (erste) Defektion und bestraften dieses Verhalten. Liegen derartige Missverständnisse vor, kann sich eine Kettenreaktion defektiven Verhaltens ergeben. In Situationen, in denen solche Missverständnisse auftreten können, ist die Strategie „Win – Stay, Lose – Shift“ der Strategie „Tit for Tat” überlegen, da die Spieler aus einer Nichtkooperationschleife wieder in die Kooperation zurückkommen können. Die Stategie „Win – Stay, Lose – Shift“ besteht darin, die gewählte Strategie beizubehalten, wenn sie erfolgreich war und zu wechseln, wenn sie nicht erfolgreich war.
Beziehungsebene berücksichtigen
Zudem empfiehlt es sich die Verhandlungshistorie zu berücksichtigen. Die Strategie könnte sich nachsichtig zeigen, wenn der Regelbruch eine Ausnahme zu sein scheint, also vorher ein beständiges kooperatives Verhalten der Gegenseite gezeigt wurde.
Folgende Regeln sind dabei zu beachten:
- Fangen Sie mit Kooperation an.
- Verfolgen Sie genau, wie oft die andere Seite unfreundlich agiert, während Sie kooperieren.
- Wenn der Anteil unfreundlichen Verhaltens zu hoch wird, kehren Sie zu Tit for Tat zurück und sanktionieren das Verhalten.
Tit for Tat sollte immer dann eingesetzt werden, wenn es den Anschein hat, dass die andere Seite einen selbst ausnutzen will.
Zurück an den Verhandlungstisch geht es oft nur durch einen Regelbruch
Kommen wir zurück zur Auseinandersetzung der beiden Großmächte: Sie erinnern sich, Donald Trump drohte mit Strafzöllen, die einen Warenwert von circa 200 Milliarden US-Dollar betreffen. Innerhalb der Logik der „Tit for Tat“ – Strategie würde China nun wiederum mit Defektion antworten. An diesem Punkt der Auseinandersetzung gibt es jedoch ein Problem für China. Die Volksrepublik importiert US-Waren „nur“ im Umfang von rund 150 Milliarden Dollar pro Jahr. Das Spiel um Vergeltung scheint hier an einem Ende angekommen zu sein. Eine mögliche Alternative: China könne die bereits verhängten Zölle aufstocken. Viele der Waren, die China importiert, werden jedoch im Land selbst gar nicht hergestellt, wie z.B. hochwertige Maschinen. Sie werden für die Herstellung von Exportprodukten benötigt. Eine Verteuerung der importierten Maschinen würde dem Land dementsprechend schaden.
Doch China hat ein weiteres Druckmittel in der Hand: Als größter Gläubiger der USA hat das Land amerikanische Staatsanleihen von mehr als einer Billion Dollar gekauft. Zusätzlich hält Chinas Notenbank über Konten in anderen Ländern über 300 Milliarden Dollar an Papieren. Sollte China dieses letzte Druckmittel in die Hand nehmen, wären die Folgen auf dem US-Anleihenmarkt erheblich. Das mögliche Finanzmarktchaos könnte letzten Endes jedoch auch das chinesische Bankensystem hart treffen.
In der Realität ist es extrem schwierig – beispielsweise aus dem Handelskrieg heraus – durch einen einseitigen „Waffenstillstand“ die Einstellung einer gegnerischen Strafaktion zu erreichen. Freundlichkeit und Nachgiebigkeit zahlt sich leider nicht immer aus und kann den „Hunger“ des anderen nach weiteren Regelbrüchen erst wecken. Einfach erklärt bedeutet das: Kaufen Sie Ihrem Kind an der Supermarktkasse den geforderten Quengel-Artikel, wird es die Situation beim nächsten Mal mit großer Wahrscheinlichkeit ausnutzen. An den Verhandlungstisch gelangen die Beteiligten deshalb nicht durch einen freundlichen „Zug“ zurück. So drohte Brüssel Washington nach Verhängung der amerikanischen Strafzölle mit weiteren Vergeltungsmaßnahmen. Letzten Endes hat sich diese Strategie bewährt: EU-Kommissionspräsident Juncker und US-Präsident Trump haben sich im Handelsstreit vorerst geeinigt.
Möchten Sie mehr über die Vielfältigkeit weiterer Verhandlungsstrategien und -taktiken sowie der Anwendung im beruflichen Verhandeln lernen, dann erkundigen Sie sich zu den Verhandlungsseminaren des Centers for Negotiation (CfN) C4 der Quadriga Hochschule.
Fotos:
- Dollar: geralt, Pixabay | CC 0 Public Domain
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