Wer argumentiert verliert – wirklich?
Kennen Sie auch Standpunkte in Verhandlungen, die Ihnen völlig unverständlich erscheinen? Eine Position oder Forderung, bei der Sie sich fragen: „Wie kann man angesichts der tatsächlichen Fakten so etwas glauben?“ Sicher fällt Ihnen sofort ein Beispiel ein.
Je nach politischer Überzeugung stimmen Sie einer oder mehreren der folgenden Aussagen zu:
- Wie kann man nur darauf kommen, dass man so wenig/so viel zahlen kann?
- Wie kann man nur glauben das der Markt sich nach oben/unten entwickelt, trotz der klaren Zahlen und Fakten?
- Wie kann man denn leugnen, dass Rohstoffpreise steigen/fallen, obwohl die Daten eindeutig sind?
- Wie kann man behaupten, den Fachkräftemangel bekämpfen zu wollen, aber gleichzeitig das Thema Homeoffice so ignorieren?
- Wie kann man mit diesem Vorgehen glauben, in dieser Verhandlung eine Lösung zu finden?
- Solch einen Schwachsinn habe ich noch nie gehört!
Haben Sie auch schon einmal solche oder ähnliche Gedanken in Verhandlungen gehabt? Haben Sie schon gespürt, wie Sie bei der ein oder anderen Aussage am Verhandlungstisch „Puls bekommen“ haben? Je nach Zielen, die in Verhandlungen erreicht werden sollen, haben viele Menschen sehr klare Meinungen und Überzeugungen. In Debatten am Verhandlungstisch versucht man dann oft, den anderen durch Argumente zu überzeugen. Dabei liegen häufig zwei Annahmen zugrunde:
- Die andere Seite betrachtet das komplett falsch.
- Die andere Seite vertritt ihre „blödsinnige“ Meinung nur, weil sie die richtigen Informationen und Argumente noch nicht kennt oder versteht.
- Wenn der anderen Seite klar wird, wie viele Argumente für die eigene Position sprechen, wird sie sich umstimmen lassen.
Verstärkt werden diese Annahmen noch dadurch, dass man bei Diskussionen – insbesondere im Fernsehen – ein entsprechendes Verhalten beobachten kann. Egal ob Talkshow oder Gerichtsverhandlung – es wird argumentiert. Eine ähnliche Auffassung findet sich auch bei vielen intuitiven Verhandlern. Für sie ist verhandeln vor allem eine „Schlacht der Argumente“. Allerdings wird mitunter übersehen, dass bei Talkshows oder Gerichtsverhandlungen eine sogenannte „dritte Instanz“ dabei ist: der Zuschauer in der Talkshow oder der Richter in der Gerichtsverhandlung. Diese Instanz ist hinreichend unabhängig und entscheidet dann, welchen der Argumente er oder sie eher geneigt ist zu folgen. Die Talkshowgäste stimmen dann mit Applaus ab, der Richter durch sein Urteil. In der Verhandlung haben wir diese „dritte Instanz“ nicht. Hier ist Niemand unabhängig und jeder verfolgt ein Ziel. Die verhandelnden Parteien sind auf sich alleine gestellt, um eine Lösung zu finden. Und damit kommt man schnell an die Grenze des Argumentierens in Verhandlungen.
Das Hauptproblem bei der Schlacht der Argumente ist dann auch, dass sie nicht klappt – besonders dann, wenn es darum geht, den Verhandlungspartner wirklich zu gewinnen. Wenn Sie Ihre Verhandlung erfolgreich abschließen möchten, vermeiden Sie den Fehler zu glauben, dass dies nur von besseren Argumenten abhängt. Diese Annahme kann schnell ins Gegenteil umschlagen und den erhofften Deal zunichtemachen. Viele der vermeintlich „brillanten“ Techniken der Rhetorik und Beeinflussung sind vollkommen ineffektiv, wenn es darum geht, jemanden tatsächlich zu überzeugen. Weshalb das der Fall ist und welche Alternativen Ihnen zur Verfügung stehen, erfahren Sie in diesem Artikel.
Wir Menschen sind wahre Meister darin, Bestätigung für die eigene Position zu finden. Wenn die eigene Meinung nicht mit neuen Erkenntnissen übereinstimmt, wollen wir das nicht zulassen. Es entsteht dann die sogenannte „kognitive Dissonanz“. Jeder von uns herrscht über das Königreich seiner Meinungen und Positionen. Abweichende Meinungen kommen einer Majestätsbeleidigung gleich. Stabilisiert wird das Reich von einer Reihe von psychologischen Effekten wie Bestätigungsfehler, Selbstüberschätzung[1], verzerrte Urteilsheuristik[2], Reaktanz[3] oder „Reactive Devaluation“. Als Reactive Devaluation[4] bezeichnet man z.B. das Phänomen, dass Vorschläge abgelehnt werden, weil sie vom „gegnerischen Lager“ stammen. Ein bekanntes Experiment veranschaulicht diesen Effekt: US-Amerikaner wurden zu einem Vorschlag zur nuklearen Abrüstung befragt. Sagte man ihnen, der Vorschlag stamme von Präsident Ronald Reagan, stimmten 90% zu. Wurde ihnen jedoch gesagt, dass Michail Gorbatschow der Urheber sei, sank die Zustimmung auf lediglich 44%.
Argumente haben ihren Platz im Werkzeugkasten der Überzeugung. Sie kommen dann sinnvoll zum Einsatz, wenn Sie vorher erfolgreich eine Verbindung hergestellt haben, die Ihnen als „Rampe“ für Ihre Argumente dient. Erst nachdem eine positive Beziehungsebene erreicht wurde, sollten Sie daran denken, zu argumentieren. Dieses Vorgehen nutzt auch das FBI unter der Bezeichnung „Behavioral Influence Stairway Model“. Sehr kurz gesagt: Durch aktives Zuhören entstehen Empathie und Rapport. Erst danach besteht die Chance, das Gegenüber zu beeinflussen.
Um erfolgreich Argumente in Verhandlungen einzusetzen, helfen Ihnen folgende 4 Punkte:
Erst analysieren, dann argumentieren
Vor dem Argumentieren steht erst das Analysieren. Dazu benötigt es zuallererst die Fähigkeit zuzuhören – die Kernkompetenz eines jeden Verhandler. Wenn Sie Ihr Gegenüber mit einer Flut von Argumenten quasi „zumüllen“, riskieren Sie nicht nur sein Interesse an einer Einigung, sondern verlieren auch schnell den Fokus auf einen entscheidenden Aspekt: die Motive Ihres Verhandlungspartners zu erfahren.
Richtig zu argumentieren bedeutet aber, die Interessen und Motive Ihres Gegenübers zu erkennen und in den Vordergrund zu stellen. Diese Interessen sind oft nicht sofort ersichtlich, können aber durch genaues sequenzielles Fragen[5] und Zuhören im Gespräch aufgedeckt werden. Je mehr Informationen Sie sammeln, desto gezielter können Sie Ihre Argumente formulieren. Denken Sie immer daran, dass man in einer Verhandlung nie genug weiß.
Wenn Sie die wahren Motive Ihres Verhandlungspartners verstanden haben, können Sie eine gezielte und effektive Argumentation aufbauen. Beginnen Sie mit dem stärksten Argument, das den größten Nutzen für Ihren Verhandlungspartner bietet. Sollte Ihr Gegenüber dieses Argument ablehnen, haben Sie seine wahren Motive möglicherweise noch nicht vollständig erfasst. In diesem Fall sollten Sie weiter nachfragen und zusätzliche Informationen sammeln, um die tatsächlichen Interessen besser zu verstehen. Nur so können Sie Ihre Argumentation erfolgreich gestalten und den Verhandlungspartner überzeugen.
Weniger ist mehr!
Machen Sie es sich nicht unnötig schwer, indem Sie ein Argument nach dem anderen präsentieren[6]. Dies kann dazu führen, dass Ihr Verhandlungspartner sich sowohl in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt fühlt als auch die Chance nutzt, Ihr schwächstes Argument herauszugreifen und zu entkräften.
In einem wissenschaftlichen Experiment von Kurt Carlson (Georgetown University) und Suzanne Shu (Anderson School of Business) fanden Forscher zudem heraus, dass ab dem vierten Argument die Skepsis des Gegenübers zunimmt und mit jeder weiteren Begründung die Kaufentscheidung zunehmend negativ beeinflusst wird.
Beschränken Sie sich daher auf maximal drei gut gewählte Argumente, die Sie nach ihrer Relevanz sortieren. Dabei gilt: Je größer der Nutzen für Ihren Verhandlungspartner, desto überzeugender ist Ihr Argument.
Stellen Sie dabei starke Argumente an den Anfang und das Ende.[7]
Stealing Thunder
Wenn Sie Zuhörer überzeugen möchten, nehmen Sie mögliche Schwächen in Ihrer eignen Argumentation vorweg. Im Englischen spricht man von „Stealing Thunder“[8]. Nehmen Sie mögliche Gegenargumente vorweg, um Widerspruch zu vermeiden und Verständnis für die Einwände des anderen zu zeigen. So merkt Ihr Verhandlungspartner, dass Sie sich mit seinen Positionen auseinandergesetzt haben. Dadurch, dass Sie das Gegenargument selbst anführen, machen Sie das Argument außerdem „unbrauchbar“ für die Gegenseite. Zusätzlich können Sie dieses Vorgehen kombinieren mit dem rhetorischen Muster „These-Antithese“.
Neuropsychologisches Argumentieren vor egozentrischem Argumentieren
Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass Entscheidungsprozesse durch einen ganz wesentlichen Faktor angeregt werden: Emotionen, die im limbischen System unseres Gehirns entstehen und dafür verantwortlich sind, ob wir uns für oder gegen etwas entscheiden. Wir handeln also nicht rational (auch wenn wir das glauben), sondern immer emotional.
Komplexe Argumente können für entscheidungsunterstützende Emotionen kontraproduktiv sein. Menschen scheuen nach wissenschaftlichen Untersuchungen in Konfliktsituationen wie Verhandlungen den Aufwand, sie zu verarbeiten[9]. Vermeiden Sie zudem negative Trigger, die Widerstand provozieren. Jeder Mensch hat seine roten Knöpfe. Rhetorische Fragen, Unterstellungen oder der Gegenseite zu sagen, was sie „sollte“ oder „muss“, sind nicht hilfreich.
Emotionalisieren Sie Ihre Argumente mit den damit verknüpften Motiven und Interessen für den Verhandlungspartner. Zeigen Sie ihm, welche „Sicherheiten“ Ihr Produkt seinem Unternehmen für die Zukunft bietet, wenn Sie z.B. vorher rausgefunden haben, dass Produktrückrufe erhebliche Kosten verursacht haben. Verwenden Sie Storytelling. Bildhafte Sprache und plakative Beispiele können und sollten Sie vorbereiten. Eine gute Geschichte erzielt mehr Wirkung als eine trockene Zahl. Verwenden Sie positive Formulierungen und bauen Sie Ihre persönlichen Erfahrungen ein, so nutzen Sie „Taktische Empathie“ um auf der Beziehungsebene zu arbeiten.
Fazit:
Nur weil Sie etwas als richtig oder logisch empfinden, heißt das noch lange nicht, dass Ihr Verhandlungspartner dies genauso sieht. Wenn Sie Ihrem Gegenüber ständig Ihre Meinung aufdrängen, führt das schnell zu Widerstand. Im schlimmsten Fall fühlt sich Ihr Verhandlungspartner durch Ihre Argumente bevormundet und empfindet, dass seine eigene Sichtweise als minderwertig oder falsch von Ihnen abgetan wird. Dies führt zu einer Zunahme von unkooperativen Verhaltensweisen deren Auslöser Sie selbst sind. Ihr Gegenüber fühlt sich blockiert und geht in die Konfrontation. Deshalb sollten Sie nicht ständig betonen, was Sie für richtig halten. Legen Sie stattdessen den Fokus darauf, die Bedeutung der Anliegen (Motive und Interessen) Ihres Gegenübers zu verstehen und neurologisch zu Argumentieren. So werden Sie Ihre Argumentation erfolgreich gestalten und in erfolgskritischen Verhandlungen ein weiteres Werkzeug haben um Ihre Ziele zu erreichen.
[1] Delroy Paulhus/Peter Harms, The Over-Claiming Technique: Measuring Self-Enhancement Independent of Ability, in: Journal of Personality and Social Psychology 84 (4/2003), S. 890-904.
[2] Daniel Kahneman/Amos Tversky, Belief in the law of small numbers, in: Psychological Bulletin 76 (2/1971), S. 105-110.
[3] Vgl. Hierzu: Jonah Berger, The Catalyst. How to Change Anyone’s Mind, New York (NJ) 2020, S. 20-30.
[4] Lee Ross/Constance Stillinger, Barriers to Conflict Resolution, in: Negotiation Journal. 7 (4/1991), S. 389–404.
[5] Thorsten Hofmann, Das FBI-Prinzip: Verhandlungstaktiken für Gewinner; Penguin Random House Verlagsgruppe; 2018
[6] Noah Goldstein/Steve Martin/Robert Cialdini, Yes! Andere überzeugen – 60 wissenschaftlich gesicherte Geheimrezepte, Bern 2018, S. 145-147.
[7] Hier wirken der Primacy und der Recency-Effekt. Zum Verhältnis beider vgl.: Curtis Haugtvedt/Duane Wegener, Message Order Effects in Persuasion: An Attitude Strength Perspective, in: Journal of Consumer Research 21 (1/1994), S. 205-218
[8] Kip Williams, The effects of stealing thunder in criminal and civil trials, in: Law and Human Behavior 17 (6/1993), S. 597-609 (https://www.semanticscholar.org/paper/The-effects-of-stealing-thunder-in-criminal-and-Williams-Bourgeois/5712934f6f878d4d15d2916cc2ab97f39487e64a ).
[9] Stephan Lewandowsky/Ulrich Ecker/Colleen Seifert/Norbert Schwarz/John Cook, Misinformation and Its Correction: Continued Influence and Successful Debiasing, in: Psychological Science in the Public Interest 13 (3/2012), S. 106–131.