Was nach den Bahnstreiks jetzt passieren muss, damit neue Gespräche gelingen
Bei der Bahn sieht man es: Eine Beteiligung verschiedener Gewerkschaften in Tarifverhandlungen kann den Verhandlungsprozess erheblich erschweren. Thorsten Hofmann, Experte für schwierige Verhandlungen, erklärt die Probleme und nimmt Stellung zur Rolle des GDL-Chefs Klaus Weselsky.
Sind Bürger die Leidtragenden dieser Streiks und wenn ja, inwiefern?
Die GDL hatte mit zwei Warnstreiks im Spätherbst und einer ersten Streikrunde Anfang Januar versucht, den Druck auf die Bahn zu erhöhen. Von Mittwoch an lief die nächste Streikrunde mit weiteren sechs Tagen. Mit den beiden Warnstreiks 2023 und den beiden Streiks im laufenden Jahr sammelt die GDL bis Montagabend, 18.00 Uhr, 264 Streikstunden, also ca. 11 komplette Tage.
Im Vergleich hierzu hat sich die GDL im gleichen Zeitraum nur für ca. 14 Stunden bereit erklärt, zu verhandeln. Hier entsteht eine Unverhältnismäßigkeit zu Lasten der Fahrgäste, die mit der Ungewissheit leben müssen und sich fragen: Komme ich morgen zur Arbeit? Gelingt die Anreise zur Familie per Zug? Fährt die Bahn am nächsten Bundesliga-Spieltag Richtung Stadion?
Millionen Fahrgäste werden zum Druckmittel im Arbeitskampf, den ein Dutzend Verhandler am Tisch lösen können, wenn sie nicht die Zeit der Fahrgäste, sondern ihre eigene Zeit investieren würden. Dementsprechend ist auch von Seiten der Fahrgäste und der Öffentlichkeit zu begrüßen, dass ab dem 5. Februar wieder verhandeln wird.
Welche Konsequenz hat die öffentliche Meinung auf den Verhandlungsprozess?
In Tarifverhandlungen spielen die Deutung über den Verhandlungsverlauf, die Verhandlungsakteure, vor allem aber die Nachvollziehbarkeit von Forderungen eine übergeordnete Rolle. Beide Akteure versuchen „ihr“ Bild der Verhandlung in der Öffentlichkeit zu zeichnen und damit Bürger, Politik und Medien auf ihre Seite zu ziehen. Je besser dies einer Partei gelingt, desto größer wird der mediale und politische Druck auf die andere Seite. Für den „Verlierer“ im Meinungskampf wiederum erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Unterstützer wegbrechen und eigene Forderungen in Frage gestellt werden.
Die aktuelle Stimmungslage in der Öffentlichkeit ist fragil. Die Nerven der Fahrgäste, der betroffenen Wirtschaftszweige und der Politik liegen blank. Die GDL muss jetzt behutsam vorgehen, um zu verhindern, dass sich die öffentliche Meinung nicht nur gegen Herrn Weselsky, sondern gegen die Lokführer richtet.
Ein weiterer Streik ohne vorherige Verhandlungen hätte eine öffentliche Dynamik entfaltet und die Fliehkräfte in der GDL erhöht. Dies hätte zur Folge haben können, dass die Bereitschaft der Mitglieder zum Streik ins Wanken gerät und Weselskys Rückhalt bröckelt. Mit schärferer öffentlicher Kritik steht perspektivisch auch die finanzielle Unterstützung der GDL beim Streikgeld durch den Deutschen Beamtenbund infrage.
Die GDL ist Mitglied im Deutschen Beamtenbund. Dessen Verantwortliche hatten die GDL bereits im Bahn-Tarifkonflikt 2015 zu einer Schlichtung gedrängt.
Kann GdL-Chef Klaus Weselsky für Streiks und Stress der Bahnkunden verantwortlich gemacht werden?
Grundsätzlich besteht in der Bevölkerung großes Verständnis für Forderungen nach mehr Lohn und besseren Arbeitsbedingungen. Wenn aber der Eindruck entsteht, dass ein Mann auf einem „Ego-Trip“ ist und diesen Weg ohne Rücksicht auf Verluste anderer geht, dann kann sich das Blatt schnell wenden.
Herr Weselsky, der 2025 sein Amt abgeben wird, scheint entschlossen, in seiner letzten Tarifrunde seinen über Jahre erstrittenen Ruf als besonders harter Hund nochmals zu festigen. Schon vor Beginn der Verhandlungen verkündete er in markigen Worten, die Beschäftigten hätten „die Messer schon gewetzt“ und es werde wohl nicht ohne Streiks gehen.
In den letzten Wochen arbeitete er sich insbesondere an den für die Tarifverhandlungen zuständigen Personalvorstand Martin Seiler ab und griff ihn als Person auch an: „Herr Seiler muss sich langsam die Frage stellen, ob er als Verhandlungsführer überhaupt geeignet ist.“
Zudem zeichnet Weselsky ein Bild von der „Arroganz der Macht im Bahntower“. Der Gestus des Umgangs miteinander ist eigentlich für eine Sozialpartnerschaft sehr fremd. Selbst in Konflikten, die sehr zugespitzt sind und in denen es um sehr viel geht, sind Angriffe nicht unter der Gürtellinie. Persönliche Diffamierungen und Beleidigungen führen zu Distanz und erschweren die zukünftige gemeinsame Lösungsfindung. Von Seiten der Bahn sind diese Grenzüberschreitungen nicht bekannt.
Wie wird der Verhandlungsprozess durch die Beteiligung verschiedener Gewerkschaften erschwert?
Das „Tarifeinheitsgesetz“ (TEG) ist der Elefant im Raum. Laut dem Tarifeinheitsgesetz kommt in einem Betrieb der Tarifvertrag jener Gewerkschaft zur Anwendung, die mehr Mitglieder hat.
Derzeit ist nur in 18 der 300 zum DB-Konzern gehörenden Betriebe die GDL die stärkste Gewerkschaft. Entsprechend verzweifelt ringt diese mit ihrem radikalen Kurs um Mitglieder und Einfluss. Alles, was die eine Gewerkschaft tarifvertraglich erzielt, hat Einfluss auf die Tarifrunde der anderen. In den Tarifverträgen bei der Bahn gibt es daher meist „Nachverhandlungsklauseln“.
Sollte die GDL etwa ein besseres Ergebnis erreichen als die EVG im letzten Jahr, kann diese verlangen, dass über ihren Abschluss neu verhandelt wird. Was für den Arbeitgeber bedeutet, dass jeder Punkt in den aktuellen Verhandlungen auch mit Blick auf andere Verhandlungen bewertet werden muss.
Für die GDL sind Wachstum und neue Mitglieder von hohem Interesse, wenn sie ihren Einfluss erweitern will. Konkret geht es um Fahrdienstleiter in Leitstellen und Stellwerken, die überwiegend bei der EVG organisiert sind. Fahrdienstleiter sind nicht nur wertvolle Mitglieder. Denn während ein Lokführer nur einzelne Züge stillstehen lassen kann, können streikende Fahrdienstleiter das gesamte Netz – inklusive Privatbahnen – lahmlegen.
Zusätzliche Mitglieder und Macht sind das Vermächtnis, das Weselsky seiner Gewerkschaft sicher gerne hinterlassen möchte.
Was sollte passieren, dass die Parteien wieder an einen Tisch kommen?
Das Hauptproblem besteht in den festgefahrenen Positionen und der vollständig zerstörten Beziehungsebene zwischen den Verhandlungsparteien. Auf persönlicher Ebene wurden zahlreiche öffentliche Verletzungen und Anfeindungen verzeichnet, die die gemeinsame Suche nach einer Lösung erheblich erschweren.
Dies sollte in den aktuellen Verhandlungen berücksichtigt werden und die beiden Parteien sollten zuerst einmal ihre Beziehungs- und Vertrauensebene wieder herstellen. Sollte dies nicht gelingen, so können neue Verhandlungsteams mit klaren Mandaten emotionsärmer und sachlicher nach Lösungen suchen. Diese Voraussetzungen sind entscheidend, um überhaupt wieder in Gespräche einzusteigen.
Die geplanten Moderatoren können zudem die Emotionen moderieren und die Verhandlungen versachlichen. Mit einem oder zwei neutralen Moderatoren besteht die Möglichkeit, vorläufige Konfrontationslinien zu überwinden und zunächst Themen auf die Agenda zu setzen, bei denen eine Einigung leichter zu erzielen ist.
Für den aktuellen Verhandlungen ist es zudem wichtig, dass die Parteien sich über einen gemeinsamen Zeitplan verständigen. Das bedeutet wie häufig wollen wir uns wie lange zusammensetzen, um eine Lösung zu finden. Bei den anstehenden Herausforderungen sollte man hier großzügig planen.
Zudem sollten klare Regeln für den Umgang mit der Öffentlichkeit und Medien festgelegt werden. Der öffentliche Deutungswettkampf kann sonst jeden Lösungsfindung am Tisch verhindern.
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Dieses Interview mit Verhandlungsexperte Thorsten Hofmann erschien im „Foucs online“ am 29.01.2024 und ist hier abzurufen.