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Die SPD in der „Groupthink“-Falle

Sie hat es geschafft: Mit Ursula von der Leyen steht ab November 2019 erstmals eine Frau an der Spitze der Europäischen Kommission. Gewählt aus den Reihen des Parlaments, auch mit den Stimmen der S&D, der Allianz der Sozialdemokraten. Einzig die SPD sah in ihrer ablehnenden Haltung zur Causa von der Leyen gar nicht gut aus. Wieso aber beharrten die deutschen Sozialdemokraten wider besseres Wissen auf ihrer Position? Schuld daran ist der sogenannte „Groupthinking“-Effekt. Ein Phänomen, das auf dysfunktionale Interaktionsmuster einer Gruppe zurückzuführen ist. Auch in Verhandlungen kann dies häufig auftreten und den Verhandlungsverlauf negativ beeinflussen.

Die Entdeckung des Groupthinking – ein altes Phänomen mit immer neuen Risiken

Entdecker des „Groupthink“-Phänomens ist der US-amerikanische Soziologe Irving Janis. Anlass für seine Forschung in den 1970er Jahren waren fragwürdige politische Entscheidungen in der Regierung des früheren US-Präsidenten John F. Kennedy. Janis wollte herausfinden, warum auch vermeintlich intelligente und vernünftige Personen – wie die Entscheidungsträger im Kabinett Kennedy – sich entgegen geltender Tatsachen fragwürdigen Positionen und Entscheidungen hingaben.

Dazu analysierte er mehrere schwere Fehlentscheidungen der US-amerikanischen Außenpolitik, wie die Schweinebucht-Invasion im Jahr 1961, und verglich sie mit erfolgreichen politischen Entscheidungen, z.B. der Reaktion auf die kubanische Raketenkrise.

In seinen Untersuchungen fand er heraus, dass schlechte Entscheidungen auf dysfunktionale Interaktionsmuster zurückzuführen sind, dem „Groupthinking“. Drunter versteht Janis das übermäßige Streben nach Einstimmigkeit und Harmonie, welches in Gruppenkonstellationen auftreten kann. Dieses Harmoniestreben schränkt dann eine vernunftbasierte Abwägung von Alternativen ein und begünstigt defizitäre Entscheidungen. Im Ergebnis kann dies dazu führen, dass eine Gruppe kluger Menschen katastrophal falsche Entscheidungen trifft.

So wurde das Groupthink-Phänomen auch bei der Watergate-Affäre, dem Challenger-Unglück und dem Columbia-Unglück, der Korruption im Enronkonzern sowie bei der Entscheidung des amerikanischen Kongresses zum zweiten Irakkrieg 2003 belegt.

Wie erkennen Sie Groupthinking in Verhandlungen?

Groupthinking wird durch Gruppendynamiken ausgelöst, bei denen sich z.B. eine Gruppe im Wettstreit oder Konflikt zu einer anderen Gruppe befindet. Also genau die Rahmenbedingungen, die auch in Verhandlungssituationen vorliegen, wenn mindestens zwei Parteien oder Gruppen, an einem Gegenstand oder Thema, unterschiedliche Interessen haben. Die Gefahr des Gruppendenkens besteht in seiner ausgeprägten Starrheit und Irrationalität. Bestimmte Faktoren erhöhen dabei die Wahrscheinlichkeit: So sind besonders demographisch homogene Gruppen anfällig für Groupthinking; ebenso besonders enge Gruppen, wie Familien, Parteien oder Firmenzugehörige, die zur Selbstüberschätzung ihres Verbundes tendieren. Auch externe Faktoren, wie zeitlicher oder situativer Druck können Groupthinking befördern.

Gruppen, die ein oder mehrere dieser Merkmale aufweisen, neigen dazu einen Uniformitätsdruck auszuüben. So werden Abweichler und Andersdenkende zugunsten eines Konsenses zensiert und die Prüfung von Handlungsalternativen vernachlässigt. Statt spezifischem Wissen der einzelnen Gruppenteilnehmer wird meist nur bereits geteiltes Wissen einbezogen. Gleichzeitig werden durch die Betonung des Gemeinsamen die eigenen Ideen nicht ausreichend kritisch analysiert und bewertet. Die Gruppenmitglieder nehmen die Situation dabei nicht als zwanghaft, sondern als verbindend war.

Fallbeispiel: Ursula von der Leyen und die SPD

Die negativen Effekte des Groupthinking lassen sich am Beispiel der SPD in den letzten Wochen besonders gut nachvollziehen. Unmittelbar nach der Nominierung Ursula von der Leyens als Kommissionspräsidentin hatten sich die SPD-Abgeordneten im EU-Parlament demonstrativ und vorschnell gegen die Kandidatin positioniert – ohne mögliche Konsequenzen und Handlungsalternativen zuvor ausreichend beleuchtet zu haben. Die Bundespartei, die keinen Konflikt mit den frisch gewählten EU-Abgeordneten riskieren wollte, schloss sich der Position ohne zu Zucken an.

Dabei war es von Beginn an eine „No-win“-Situation: Wäre von der Leyen bei der Wahl zur Kommissionspräsidentin durchgefallen, hätte man der SPD die Schuld an dem nachfolgenden Chaos auf EU-Ebene gegeben. Da sie nun gewählt wurde, riskiert die SPD mit ihrer dauerhaften Ablehnung einen handfesten Regierungsstreit.

Die Partei jedoch fühlte sich im Recht. Einzelne SPD-Politikerinnen und -Politiker, die sich mit einer anderen Haltung an die Öffentlichkeit trauten, wurden als Nestbeschmutzer wahrgenommen. Als schließlich deutlich wurde, dass die Positionierung einer politischen Sackgasse glich, bei der es nichts zu gewinnen gab, war es für die SPD bereits zu spät um ohne Gesichtsverlust aus dieser Sache herauszukommen. Ein typisches Ergebnis von Groupthinking.

Wie verhindern Sie Groupthinking in Verhandlungen?

Groupthinking in Verhandlungen können den Verhandlungserfolg negativ beeinflussen. Um das Risiko zu minimieren lohnt es sich, bereits im Vorfeld einige Vorkehrungen zu treffen. So zahlt es sich aus, ein möglichst diverses Verhandlungsteam zusammenzustellen. Das bezieht sich sowohl auf demographische Aspekte als auch auf unterschiedliche berufliche und soziokulturelle Faktoren. Um den Konformitätsdruck abzubauen, helfen flache Hierarchiestrukturen und die richtige Führungskultur. Als Führungskraft sollten Sie sich daher mit Ihrer Meinung zurückhalten und z.B. beim Debrief nach der Verhandlung zuerst die unteren Hierarchieebenen zu Wort kommen lassen. Dies verhindert auch blinde Flecken in der Verhandlung.

In der Verhandlungsforschung haben sich darüber hinaus noch weitere effektive Methoden entwickelt, um Groupthinking zu verhindern. Zum Beispiel kann die sogenannte „Delphi-Methode“ angewandt werden, bei der jedes Gruppenmitglied seine Einschätzung zu einer Situation anonym abgibt. Dadurch verringern sich der Einfluss dominanter Gruppenmitglieder und die Konformität. Auch die Einführung eines „Teufels-Advokaten“ kann helfen, die abwechselnd einem Gruppenmitglied zugeteilt wird.

Zu guter Letzt ist auch die Einbeziehung externer Sichtweisen eine einfache und effektive Maßnahme, um Groupthinking zu verhindern. Dies kann durch einen externen Experten oder eine externe Expertin erfolgen, der/die zu den Meetings eingeladen wird oder durch Beratungen der einzelnen Gruppenmitgliedern mit Menschen außerhalb der Gruppe, deren Reaktionen anschließend zurückgemeldet werden.

Unabhängig davon welche Methode Sie wählen, gilt: Wem dieses Phänomen bewusst ist, minimiert das Risiko von Groupthinking bereits gewaltig.

Quellen:

  • Janis, I. I. (1972). Victims of groupthink
  • https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/gruppendenken/6121
  • http://blog.my-skills.com/2009/10/18/groupthink-verhindern.html

Bildquelle:

  • Free-Photos, Pixabay  | CC 0 Public Domain

Thorsten Hofmann, C4 Center for Negotiation

Thorsten Hofmann ist Lehrbeauftragter für wirtschaftliches und politisches Verhandlungsmanagement und Krisenkommunikation an der Quadriga Hochschule Berlin. Er leitet das C4 Center for Negotiation.

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