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Europas Trump-Flüsterer: Stellt sich Merz bei Trump gut an, hat er riesige Chance

Blog-Beitrag bei focus online am 05.06.2025

Beim Antrittsbesuch im Weißen Haus erwartet Friedrich Merz kein diplomatischer Alltag. Donald Trump denkt in Deals, nicht in Kompromissen. Wer ihn beeinflussen will, braucht Taktik, Tempo – und ein Gespür für Eitelkeiten.

Wenn Friedrich Merz am Donnerstag ins Weiße Haus einzieht, dann betritt er kein Sitzungszimmer der Diplomatie, sondern die Manege eines Inszenierungskünstlers. Donald Trump ist ein erfahrener Machtspieler – unberechenbar, eitel und gefährlich gut darin, seine Gesprächspartner zu dominieren. Doch genau deshalb ist dieses Treffen für Merz eine Chance: Wer Trump versteht, kann ihn gewinnen lassen – und dabei selbst gewinnen.

Die Bühne: Oval Office und Schattenbühne

Das offizielle Programm liest sich harmlos: bilaterales Gespräch, gemeinsames Mittagessen, PR-Termin im Oval Office. Doch gerade dieser letzte Punkt birgt Risiken. Kameras, Blitzlichter, spontane Provokationen – wie zuletzt erlebt von Präsident Selenskyj oder Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa, der mit verstörenden Trump-Videos konfrontiert wurde.

Trump verhandelt nicht, er inszeniert. Er beginnt mit extremen Forderungen, deutet Konsequenzen an, lässt andere reagieren – und stellt so die Gesprächsführung auf den Kopf. Wer sich darauf einlässt, verliert sofort die Initiative.

Merz hat sich vorbereitet. Er hat mit Verbündeten gesprochen, von Finnlands Präsident Alexander Stubb bis zu Südafrikas Ramaphosa. Er weiß: Wer Trump Paroli bieten will, darf nicht bitten – sondern muss bieten. Und zwar nicht nur politische Positionen, sondern persönliche Wertschätzung. Und muss vorbereitet sein. Auch auf das Unerwartete.

Die Strategie: Nähe schaffen, Ego bedienen

Trumps Denken ist nicht strategisch, sondern transaktional. Es geht ihm nicht um institutionelle Beziehungen, sondern um persönliche Loyalität. Als Präsident war und ist Trump jemanden, der nationale Interessen über das Prisma persönlicher Beziehungen betrachtet. 

Erfolgreich war bisher nur, wer sich kontinuierlich bemühte, ihn einzubinden, z.B. etwa Japans Ex-Premier Shinzo Abe, der Golf spielte und regelmäßig anrief. Die persönliche Ebene bedient auch Wladimir Putin, der Trump nach seiner ersten Amtszeit nachweislich sechs Mal angerufen hat und auch heute nicht versäumt ihn öffentlich zu loben.

Merz hat dieses Muster erkannt. Er hat Trump bereits nach Bad Dürkheim eingeladen, das Herkunftsort seiner Vorfahren ist – eine symbolisch aufgeladene Geste, die Trumps Ego gefallen könnte. Der Kanzler sollte dies nutzen, um ein emotionales Band zu knüpfen, bevor es um harte Inhalte geht.

Die Inhalte: Ukraine, Sanktionen, Zölle, Ukraine und Russland

Trump sieht den Krieg als „europäisches Problem“ und möchte keine „amerikanischen Abenteuer“. Doch Merz kann ihn dort packen, wo er empfänglich ist: seinem Wunsch, als Friedensbringer in die Geschichte einzugehen. 

Die Erzählung muss lauten: Nur Sie, Mr. President, können Putin an den Verhandlungstisch zwingen. Sie haben die Fähigkeiten und die Mittel dazu. Dazu kann Merz betonen, dass Europa bereit ist, „einige Schmerzen zu erdulden“, wie es US-Senator Lindsey Graham formulierte und außerdem die Verteidigungsausgaben schon deutlich erhöht hat. 

Merz hat dies schon öffentlich erklärt und könnte diese Entscheidung noch verpacken „Wir haben Ihnen zugehört und wir finden, dass Sie Recht haben mit den fünf Prozent für Verteidigung. Deutschland wird auf 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung und weitere 1,5 Prozent für militärisch nutzbare Infrastruktur erhöhen.“

Sanktionen als Verhandlungsmasse um Strafzölle vermeiden

Graham selbst versucht derzeit, Trump über den Umweg harter Sekundärsanktionen zu unterstützen Druck auf Putin auszuüben– mit bis zu 500 % Zöllen auf Importe aus Ländern, die mit Russland handeln. Auch einige EU-Staaten wären betroffen. 

Merz könnte hier ein Angebot machen: Deutschland unterstützt die Durchsetzung der Zölle gegen Russland, wenn die USA bereit sind, dafür europäische Interessen im Handel zu respektieren. Zusätzlich wäre es ein Möglichkeit Merz „den Kuchen vergrößern“ und einen Vorschlag für ein gemeinsames Innovationsabkommen oder Investitionsprojekte vorlegen. Trump liebt Deals, nicht Prinzipien.

Die Falle: Die AfD und das Narrativ der „Meinungsunterdrückung“

Ein besonders heikles Thema: die deutsche Innenpolitik. Trump-nahe Politiker wie Marco Rubio oder JD Vance werfen Deutschland „Meinungstyrannei“ vor, weil die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Eine Inszenierung wie es Selenskyj widerfahren ist würde negativ an Merz kleben bleiben. 

Selenskyj stellte dem US-Vizepräsidenten im Oval Office die provokante Frage: „Waren Sie jemals in der Ukraine?“ und ließ anklingen, dass die USA die russische Bedrohung möglicherweise bald selbst zu spüren bekämen. 

Ein solches Vorgehen birgt Risiken – Merz sollte diesen Fehler vermeiden. Er kann und sollte seine Position deutlich machen, aber ohne sich in eine Konfrontation zu verstricken oder auf dem eigenen Standpunkt zu beharren. Er muss hier mit Haltung und kluger Rhetorik kontern – nicht ausweichend, aber auch nicht belehrend und vor allem die Ruhe bewahren.

Denn im Oval Office gilt ein unausgesprochenes Gesetz: Nur einer hat recht – und das ist Trump.

Ein möglicher Spin könnte sein:

„Mr. President, ich bin froh, dass Sie die Meinungsfreiheit betonen. Wir haben sie gemeinsam verteidigt – gegen Diktaturen wie die Sowjetunion. Doch Gruppen, die Rassismus oder Antisemitismus fördern, sind mit unseren Werten nicht vereinbar. Auch nicht mit den amerikanischen.“

Merz kann hiermit deutlich machen, dass sich Deutschland seiner Geschichte bewusst ist – ohne sich für seine demokratische Verteidigungsbereitschaft rechtfertigen zu müssen.

Die Chance: Friedrich Merz als Europas Trump-Flüsterer?

Merz will in Europa Führung zeigen – und könnte sich bei Trump als erster Ansprechpartner Europas positionieren. Der Schlüssel: persönliche Beziehung, wirtschaftliche Angebote, und politische Orientierung, die nicht von Ideologie, sondern von Pragmatismus geprägt ist.

Das bedeutet nicht, sich zu unterwerfen. Aber es bedeutet, das Spiel zu verstehen. Trump liebt keine Kontinente, er liebt Menschen, die ihm nützen. Wenn Merz sich so positionieren kann, dass er nützlich ist – als Brückenbauer, als Sicherheitsgarant, als Bündnispartner mit Durchschlagskraft – dann kann dieser Besuch mehr sein als ein Fototermin.

Dann könnte dies der Anfang einer neuen Achse sein: Berlin – Washington, unter Bedingungen, die beide Seiten aushalten.

Mehr als nur Außenwirkung

Für Friedrich Merz ist der Besuch auch ein innenpolitisches Schaufenster. Wer auf internationaler Bühne bestehen kann, stärkt seine Autorität gegenüber Koalitionspartnern und europapolitischen Zweiflern. 

Ein erfolgreicher Besuch könnte zum Katalysator werden – für seine Rolle als Architekt einer neuen transatlantischen Handschrift. Gerade in einem innenpolitisch angespannten Klima gilt: Wer außenpolitisch souverän auftritt, gewinnt innenpolitisch an Gewicht.

Der Besuch von Friedrich Merz bei Donald Trump ist eine diplomatische Gratwanderung – mit realer Chance auf Einfluss. Wer Trump nicht „überzeugt“, sondern „aktiviert“, kann viel erreichen. Was es braucht: Haltung ohne Arroganz, Nähe ohne Unterwürfigkeit – und die Bereitschaft, ein Drehbuch für das Theaterstück „Trump“ mitzuschreiben, statt darin nur zu agieren.


Den vollständigen Artikel, der am 05.06.2025 in focus online erschienen ist, finden Sie hier.




Thorsten Hofmann, C4 Center for Negotiation

Thorsten Hofmann ist Lehrbeauftragter für wirtschaftliches und politisches Verhandlungsmanagement und Krisenkommunikation an der Quadriga Hochschule Berlin. Er leitet das C4 Center for Negotiation.

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