Brexit: Alles auf null? Bringen neue Verhandlungsführer ein besseres Ergebnis?
Die letzten Wochen haben einiges durcheinandergewirbelt: In Großbritannien hat Theresa May ihren Rücktritt als Parteivorsitzende zum 7. Juni verkündet und auch in der Europäischen Union werden nach der vergangenen Parlamentswahl neue Positionen besetzt. Ein Austausch der Verhandlungsführer hat allerdings auch entscheidenden Einfluss auf den weiteren Verlauf der Verhandlungen und das Ergebnis. Für die laufenden Brexit-Verhandlungen sind das unberechenbare Variablen. Einerseits kann so neue Bewegung in die bislang festgefahrene Situation gebracht werden, andererseits erhöht sich die Gefahr eines No-Deal-Brexit.
Seit Theresa May nach drei gescheiterten Abstimmungen ihres Brexit-Deals im britischen Unterhaus ihren Rücktritt verkündete, stehen die Bewerber Schlange. Bis Ende Juli soll nun ein offizieller Nachfolger gefunden werden. Unter den zahlreichen Kandidaten dürften der vormals britische Außenminister Boris Johnson, der ehemalige Brexit-Minister Dominic Raab oder der amtierende Außenminister Jeremy Hunt die besten Chancen haben, Theresa May zu beerben.
Man könnte meinen, ein neuer Verhandlungsführer wäre das Beste, was den festgefahrenen Brexit-Verhandlungen passieren kann. Alle drei verkündeten bereits selbstbewusst, einen besseren Deal mit der EU erreichen zu können und insbesondere die umstrittene Backstop-Regelung neu zu verhandeln – und das, obwohl EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verlauten ließ, der Brexit werde nicht neu verhandelt. Aber wie wirkt sich der Austausch eines Verhandlungsführers tatsächlich aus? Welche Chancen und Risiken bietet er?
Vertrauen als Grundwährung jeder Verhandlung
In der Verhandlungswissenschaft weiß man seit langem, dass der Verhandlungsführer für Verlauf und Erfolg der Verhandlung der entscheidende Faktor ist. Der Austausch des Verhandlungsführers ist somit immer als Zäsur zu sehen. Das hat einen einfachen Grund: Die Basis jeder Verhandlung liegt in einem professionellen Beziehungsaufbau und Beziehungssteuerung. Dazu gehört die Herstellung einer stabilen Vertrauensbasis. Schließlich ist es ein menschliches Urbedürfnis zu wissen, mit wem wir es zu tun haben. Der Erfolg von Verhandlungen beruht auf sensiblen psychologischen Dynamiken und emotionalen Feinheiten. Wer Sachthemen bespricht, ohne die Beziehungsprobleme geklärt zu haben, riskiert, dass sich der schwelende Konflikt auf der Beziehungsebene mit den Sachthemen vermischt. Dadurch erfolgt eine Zuspitzung des Konflikts und der Verhandlungserfolg rückt in weiter Ferne.
Eine vertrauensvolle Beziehung ist somit die Voraussetzung für wirkungsvolle und erfolgreiche Kommunikation, die zum Verhandlungsabschluss führt. Wird nun der Verhandlungsführer ausgetauscht, fällt die mühsam aufgebaute Beziehungsebene weg.
Wie schwierig sich der Aufbau des Vertrauensverhältnis zwischen der EU und Großbritannien gestaltet, zeigen die Äußerungen von EU-Chefunterhändler Michel Barnier: Noch im August 2017 – rund ein halbes Jahr nach Beginn der Austrittsverhandlungen – verkündete er, es seien noch vertrauensbildende Maßnahmen in den Verhandlungen nötig. Nur so könnte eine zukünftige Beziehung ernsthaft diskutiert werden.
Deal or No Deal?
Die potentiellen Nachfolger von Theresa May positionieren sich gegenwärtig als kompromisslosere und härtere Verhandler, die den Deal für Großbritannien deutlich verbessern wollen. Frei nach dem Motto „Neue Besen kehren besser“. Boris Johnson setzte bereits auf klare Kante: Mit ihm als Premierminister werde Großbritannien die EU am 31. Oktober verlassen, mit oder ohne Deal. Auch neben Johnson findet sich unter den konservativen Bewerbern für die May-Nachfolge kein Einziger, der nicht für den Brexit ist. Hinter der angekündigten Kompromisslosigkeit scheint der Versuch zu stehen, die Brexit-Hardliner an der konservativen Parteibasis auf ihre Seite zu ziehen.
Das demonstrative, insbesondere über die Medien verbreitete Säbelrasseln mag den Brexit-Befürwortern gefallen – für potentielle neue Verhandlungen mit der EU ist es kontraproduktiv. Die artikulierte Kompromisslosigkeit der Kandidaten hat so schon im Vorfeld einen bedeutenden Vertrauensverlust hervorgerufen. Der scheidende 14. Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker hat sich hierzu schon „glassklar“ geäußert: „Es wird keine Nachverhandlungen geben.“ Dass sich die Europäische Union mit Blick auf den ausgehandelten Vertrag noch bewegt, dürfte daher so gut wie ausgeschlossen sein. Vertrauen, welches bereits vor Beginn der Verhandlungen bewusst verspielt wird, kann später schwer wieder aufgebaut werden. Wer wie Johnson und Co. nur die eigenen Ziele und Positionen im Blick hat und sich nicht auf die Argumente der Gegenseite einlassen kann, wird keine erfolgreiche Verhandlung führen.
Wie geht es weiter?
Was bedeutet das nun für den weiteren Verlauf? Die Gefahr eines No-Deal-Brexit steigt. Sollte die EU den Vertrag nicht erneut aufschnüren, ist ein Kompromiss nur noch bei der rechtlich unverbindlichen „Politischen Erklärung“ möglich, die Teil des Austrittvertrags ist. Hier könnten zum Beispiel weitergehende Forderungen und Klärungen zum Backstop Eingang finden. Um dies zu erreichen, müsste der Nachfolger von Theresa May jedoch eine Mehrheit des britischen Unterhauses hinter sich bringen. Wie wir in den letzten Monaten gesehen haben ist das nicht gerade eine leichte Aufgabe…
Quellen:
- Thorsten Hofmann: Das FBI Prinzip; www.das-fbi-prinzip.de
- https://www.welt.de/politik/ausland/article194190175/Nach-May-Ruecktritt-Die-Brexit-Endlosschleife.html
- https://ec.europa.eu/germany/news/20170831-Brexit-Verhandlungen-Runde-3_de
Bildquelle:
- Pete Linforth, Pixabay | CC 0 Public Domain