Künstliche Intelligenz muss auf den HR-Verhandlungstisch
Verhandeln wir bald mit Maschinen? Möglich wäre es. Schon heute analysiert Künstliche Intelligenz Körpersprache, erkennt Emotionen in Sekundenbruchteilen und kalkuliert in Echtzeit die überzeugendsten Gesprächsstrategien.
KI wird erfolgreich in Trainings eingesetzt, um Non-Verbale Signale, wie Mikroexpressionen, und Stressmuster zu erkennen und zu analysieren. Reine KI-Verhandlungssysteme treten inzwischen in der Wissenschaft gegeneinander an – mit dem besseren Ende für die emotionaleren, empathisch wirkenden Systeme. Warum nicht gleich die KI den Job machen lassen?
Verhandlungen neu denken: Was verändert KI wirklich?
Was für den einen wirkt wie Orwells gar nicht so schöne neue Welt, ist für den anderen faszinierend. Fakt ist, dass man um KI nicht herumkommt, wenn man zum Beispiel über Effizienz und Zeitersparnis als Entlastung bei Routineverhandlungen nachdenkt. Verhandelt man heute in den USA mit Walmart über Preise, Rabatte und Konditionen, dann sitzt die KI mit am Tisch. Die Software prüft in Sekundenschnelle Angebote und rechnet Alternativen: Zahlungsziele, Lieferfristen, Rohstoffpreise, Transportkosten, Preisnachlässe, Werbekostenzuschüsse. Während früher ganze Abteilungen wochenlang Zahlenkolonnen durchforsteten, erledigt nun ein Algorithmus das Routinegeschäft. Ein Befreiungsschlag für die Verhandler, die sich nun auf die schwierigen taktischen Themen konzentrieren können.
Schnelle, saubere Protokollierung, Datenqualität und Transparenz – eine weitere unschlagbare Stärke der KI. Das estnische Start-up Pactum AI hat dafür eine Plattform entwickelt, die tausende Lieferantenverträge automatisiert anpasst. Lieferanten, die E-Mails beantworten oder Online-Formulare ausfüllen, merken oft gar nicht, dass sie es mit einer Maschine zu tun haben. Eine Maschine, die nie müde wird, nie gereizt wirkt und nie auf die Idee kommt, spontan eine Pause einzulegen.
KI kann in Rekrutierungsprozessen Lebensläufe screenen und mit Anforderungsprofilen abgleichen. Sie kann den menschlichen Bias bei der ersten Auswahl minimieren und dadurch für Gleichbehandlung sorgen. Automatisierte Gehaltsagenten definieren innerhalb von Bandbreiten Angebotsmöglichkeiten.
Verträge kann man gleichlautend verhandeln, anstatt sie jedes Mal neu aufzusetzen. Juristische Kanzleien wie A&O Shearman verkürzen mit ihrer Plattform ContractMatrix die Verhandlungszeit pro Vertrag um mehrere Stunden. Das Start-up HyperStart CLM kombiniert automatisiertes Redlining, Risikoberichte und KI-gestützte Entscheidungsunterstützung – und wirbt mit bis zu 75 Prozent Zeitersparnis bei Vertragsverhandlungen. Kundenlisten reichen von Versicherern bis zu Softwareunternehmen. Diese Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen. Willkommen am neuen Verhandlungstisch!
Die KI als Coach
Während Bots in Pilotprojekten wie eigenständige Verhandler agieren, gibt es auch erfolgreiche Ansätze, Künstliche Intelligenz als diskreten Coach einzusetzen. Ein Ansatz der am Center for Negotiation der Quadriga Hochschule Berlin mit verschiedenen KI-Tools zur Unterstützung von Verhandlern in der Praxis trainiert wird. Die Systeme spielen dabei ihre Stärke im Hintergrund aus – als unsichtbare Begleiter.
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Beispielsweise kann KI während laufender Verhandlungen in Echtzeit Tipps einflüstern: alternative Formulierungen, Ideen für Kompromisse, Hinweise zum Tonfall. Wer die Ratschläge im Training annahm, schnitt messbar besser ab. Samuel Dinnar, Dozent am MIT, sieht darin sogar eine Chance für Menschen, die Verhandlungen bislang aus Angst gemieden haben: „Besonders bei Menschen, die Verhandlungen scheuen, kann KI eine Brücke bauen. Sie gibt Sicherheit, bietet Trainingsmöglichkeiten und öffnet Verhandlungskompetenz für breitere Gruppen.“
Noch weiter gehen Plattformen wie Gong, die Sales- und Verhandlungsgespräche aufzeichnet und sie in Datenpunkte zerlegt: Wer sprach wie lange? Welche Begriffe fielen? Wann schwankte der Tonfall? Das Ergebnis ist ein Coaching-Tool, das zeigt, wo Verhandler zu dominant auftreten oder wo eine Pause mehr Wirkung gehabt hätte. Durch KI-gestützte Coachings und Simulationen können sich also Taktiken und Verhandlungsqualität verbessern.
Balance zwischen Mensch und Maschine
KI ist längst mehr als ein theoretisches Experiment. Sie verändert die Art, wie wir verhandeln fundamental – von der Vorbereitung bis zur Echtzeitunterstützung am Tisch. Doch so vielversprechend die Technik ist, sie wirft auch neue Fragen auf: Was passiert, wenn sich beide Seiten zu sehr auf Algorithmen verlassen? Werden kulturelle Nuancen eingeebnet, wenn KI Kommunikationsmuster vereinheitlicht? Und wie verhindern Unternehmen, dass ein falscher Prompt oder ein verstecktes Bias am Ende ein Millionen-Geschäft kippt?
Die Antwort liegt in der Balance. KI kann Datenberge durchforsten, Muster erkennen, Szenarien durchspielen. Doch Kreativität, moralische Abwägung und die Fähigkeit, Vertrauen aufzubauen, bleiben zutiefst menschlich. Und vielleicht ist das die eigentliche Revolution: Nicht die Ablösung des Verhandlers durch KI, sondern die Erweiterung seiner Fähigkeiten. Die Kunst wird darin bestehen, die Technik als Werkzeug zu nutzen – ohne das Menschliche aus den Augen zu verlieren.
Den vollständigen Artikel, der im Human Resources Manager am 22.10.2025 erschienen ist, finden Sie hier.