Strategie der Koalitionsgespräche
Worauf es bei erfolgreichen Koalitionsverhandlungen ankommt, was die Verhandlungsstruktur mit dem Ergebnis zu tun hat und wie die Verhandlungspartner zu gesichtswahrenden Ergebnissen kommen können, hat Thorsten Hofmann im Interview mit dem Deutschlandfunk analysiert.
Dieses Interview mit Verhandlungsexperte Thorsten Hofmann hat der Deutschlandfunk geführt. Es ist hier abzurufen. Eine Verschriftlichung des gesprochenen Interviews finden Sie nachstehend.
Deutschlandfunk: Der Zeitplan ist klar. In der Woche ab dem 6. Dezember soll Olaf Scholz zum Bundeskanzler gewählt werden, wenn die Koalitionsverhandlungen von Rot-Grün-Gelb erfolgreich und plangemäß zum Ende kommen. Kommenden Mittwoch – Punkt 18 Uhr – ist eine wichtige Zeitmarke. Dann wollen die 22 Arbeitsgruppen aus rund 300 Politikern und Politikerinnen der Ampel ihre jeweiligen Positionspapiere festlegen. Von Klima über Bildung bis Finanzen. Eine Schlussredaktion mit führenden Köpfen der Parteien soll anschließend den Koalitionssack zumachen. Ist der kommende Mittwoch 18 Uhr zu halten? Grünen-Politikerin Baerbock betonte diese Woche vor allem das Fragezeichen.
„Diese Erneuerung des Landes soll ja in den nächsten vier Jahren wirklich greifen und da kommt es nicht auf vier Tage mehr oder weniger an in den Gesprächen. Sondern wir müssen die Zeit jetzt nutzen, die wir brauchen, damit wir Deutschland in den nächsten vier Jahren wirklich erneuern können,“ sagte Baerbock im rbb. Taktik, Tricks und Techniken, wie die angehenden Akteure im Endspurt vorgehen habe ich vor der Sendung mit Thorsten Hofmann besprochen. Er ist Verhandlungscoach für Unternehmen, Verbände und Politik. Thorsten Hofmann leitet C4 Center for Negotiation an der Quadriga Hochschule Berlin. Hat zuvor als Vermittler beim Bundeskriminalamt und bei Interpol gearbeitet und ein Buch geschrieben über das FBI-Prinzip – Verhandlungstaktiken für Gewinner.
Ich habe ihn gefragt: Warum heißt vom FBI lernen erfolgreich verhandeln lernen?
Thorsten Hofmann: Das FBI beziehungsweise viele Sicherheitsbehörden haben sich jahrelang damit beschäftigt, wie sie Krisenverhandlungen meistern. Krisenverhandlungen – darunter versteht man Verhandlungen zum Beispiel mit Geiselnehmern, Terroristen oder Schwerstkriminellen, die mit den normalen klassischen Verhandlungsansätzen vielleicht schwieriger zu erreichen sind. Das sind Persönlichkeiten, die durchaus auch von ihrem Verhalten als irrational gelten können und auch zu irrationalen Handlungen neigen. Aus dieser Art des Vorgehens in den Verhandlungen, dass auf verschiedenen psychologischen Prinzipien fußt, kann jeder für seine tagtäglichen Verhandlungen etwas lernen. Manchmal kommt es uns an einem Verhandlungstisch so vor, als ob unser gegenüber irrational ist, die dahinterliegenden Gründe sind aber vielleicht Andere.
Deutschlandfunk: Wenige Tage vor der Abgabe der 22 Positionspapiere sagt Grünen-Verhandlerin Baerbock im Radio also auf vier Tage mehr oder weniger in den Gesprächen komme es nicht an. Noch immer dringen kaum Details aus den Ampelverhandlungen. Dann lanciert sie über die Medien diesen Satz. Ist das auch ein Teil der Verhandlungstaktik?
Thorsten Hofmann: Zum einen ist es erst einmal positiv zu bewerten, dass es so ruhig ist, denn das war eines der großen Probleme bei den Verhandlungen 2017 – dass ständig etwas nach draußen gedrungen ist. Das führt häufig dazu, dass sich die Verhandlungspartner am Tisch nicht trauen, da niemand weiß, ob der andere nicht wieder irgendwelche Verhandlungsstände, die aber noch gar nicht abgesegnet sind, nach draußen sendet. Das heißt, wenn wir jetzt hier so viel Ruhe erleben ist das durchaus ein positives Signal. Was wir jetzt gehört haben, ist auch ein Signal. Ein Signal, dass es vielleicht nicht ganz so schnell voran geht. Jetzt kann es bei einer Ampelkoalition – einer Dreiparteien-Koalition, die auch unterschiedliche Bereiche des politischen Spektrums vertritt – immer mal passieren, dass gewisse Sachen doch noch nicht so klar sind. Das ist die eine Lesart. Die andere ist allerding auch, dass wenn es manchmal zu schnell, zu geräuschlos geht, dass es dann auch für die eigenen Bereiche, also eigene Wählerklientel manchmal so aussehen kann, als hätte ich mich nicht genug angestrengt.
Deutschlandfunk: Erst ein zwölfseitiges Sondierungspapier, dann legt jede der knapp zwei Dutzend Arbeitsgruppen sechs Seiten zu ihrem Thema vor. Dann soll die Hauptverhandlungsgruppe aus Spitzenpolitikern und Spitzenpolitikerinnen den Feinschlief und ungelöste Fragen klären.
Wenn wir jetzt schonmal weiterdenken: Wie fängt man dann die Diskussion wieder ein, um zu einem Ergebnis zu kommen was dann hoffentlich alle mittragen?
Thorsten Hofmann: Das gewählte Vorgehen ist ein sehr hilfreiches für Koalitionsverhandlungen generell. Der Gedanke dahinter ist, eine Deeskalationsebene zu haben. Das heißt, dass wenn man in einer Arbeitsgruppe keine Einigung zu einem Thema findet, dieses auf eine nächsthöhere Ebene zu bringen, wo alle anderen nicht geeinten Themen ebenfalls geeint werden können.
Deutschlandfunk: Und wo liegen dennoch die gefährlichsten Hürden auf dem Weg zur Unterschrift im Koalitionsvertrag?
Thorsten Hofmann: Alle drei Parteien sind mit bestimmten Botschaften in den Wahlkampf gegangen: Die Versprechen, die sie ihrem Wählerklientel abgegeben haben. Keine Partei, darf da jetzt rausgehen mit einem kompletten Gesichtsverlust. Das heißt, dass sie Dinge nicht erreicht hat, die sie versprochen hat. Das Bedeutet für alle drei Parteien, dass sie sich selbst auf bestimmte Themen konzentrieren sollten. Das heißt, wenn ich von Seiten der Grünen mit dem großen Thema Klimaschutz reingegangen bin, dann muss ich dort soviel wie möglich rausholen. Die FDP wiederum muss das Thema, dass keine Steuererhöhungen stattfinden, ebenfalls halten. Das ist ihr großes Wahlversprechen gewesen. Genauso wie die SPD es tun muss zum Thema soziale Gerechtigkeit oder auch Reduzierung der Mieten.
Deutschlandfunk: Wenn wir uns das mögliche Personal dieser Schlussredaktion anschauen. Also wahrscheinlich sind es Olaf Scholz, Christian Lindner und Annalena Baerbock, unter Anderem denke ich mal. Dann sind doch diese Persönlichkeiten sehr unterschiedlich, so sehr man sich als Einheit präsentieren möchte, etwa mit Grün-Gelben Selfies aus einem Vierertreffen zuhause. Welche Rolle spielen denn die Temperamente bei den Gesprächen?
Thorsten Hofmann: Also die Beziehung an sich ist eine der grundlegenden Punkte, die ich in einer Verhandlung erstmal beachten muss. Deswegen haben sich am Anfang der Verhandlungen, die jeweiligen Hauptverhandler, die auch die Schlussredaktion jetzt machen, regelmäßig getroffen. Das war auch erstmal noch ein intensiveres Kennenlernen. Man kennt sich zwar aus der politischen Arbeit. Im Wahlkampf war es allerdings der politische Gegner, den man auch teilweise sehr hart angegriffen hat. Das muss jetzt erstmal wieder zurückgeführt werden auf eine Ebene des Miteinanders, wo nicht nur eine Beziehung aufgebaut wird, sondern auch Vertrauen. Dieses Vertrauen ist nochmal etwas ganz Spezielles. Man kann in einem Koalitionsvertrag viele Inhalte verhandeln – es wird aber in jeder Regierungsperiode immer Abschnitte geben, die man nicht vorhersehen kann. Die letzten Legislaturen waren auch immer versehen mit irgendwelchen Krisen. Ob das Banken- und Finanzenkrisen waren, eine Flüchtlingskrise oder jetzt die Pandemie. Ich muss mir also auch vorstellen können, wie ich mit meinem Gegenüber in solchen Krisen, die ich nicht Absehen kann, auch zu Lösungsmechanismen komme und wie ich dort auch im Krisenmodus miteinander zu irgendeinem Ergebnis komme.
Deutschlandfunk: Und wenn Scholz tatsächlich in der Nikolauswoche zum Bundeskanzler gewählt werden sollte. Dann würden 70 Tage zwischen Wahl und Regierungsbildung liegen. Zwischen 30 und einem halben Jahr dauert dieser Prozess in Deutschland, haben die vergangenen Jahrzehnte gezeigt. Aber ist länger verhandeln immer besser?
Thorsten Hofmann: Nein. Definitiv nicht. Strukturiertes verhandeln ist immer besser. Das hat man jetzt hier auch nochmal anders gemacht als bei den letzten Verhandlungen 2017. Man hat hier ein klares Gerüst aufgebaut, bei dem man gesagt hat, es gibt 22 Arbeitsgruppen mit etwa 300 Verhandlern – Teile von denen kannten sich auch schon aus Ausschüssen. Man hat einen klaren Fahrplan aufgebaut: Ihr trefft euch jeden Tag von 10.00- 17.00 Uhr. Also auch keine Nachtverhandlungen, sondern noch in einem physiologischen Zeitfaktor, wo man noch gut arbeiten kann – sieben bis acht Stunden ist das in etwa. Und dann geht es von Tag zu Tag so weiter.
Dieses Gerüst, das man aufgebaut hat, ist ein sehr gutes. Ob das jetzt gehalten werden kann, muss man sehen. Wir haben jetzt gehört, es sind noch ein paar Dinge offen. Dann kann man sich gegen Ende auch die Zeit nehmen, sich etwas mehr Zeit zu lassen. Denn tatsächlich sind 70 Tage eine schnelle Zeit.
Zu Thorsten Hofmann: Als Verhandlungsberater stützt Thorsten Hofmann sich auf eine langjährige Berufserfahrung als professioneller Verhandler. Als ehemaliger Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) und des INTERPOL National Central Bureau (NCB) war er im Bereich Organisierte Kriminalität tätig. Dabei arbeitete er unter anderem bei einigen der spektakulärsten Erpressungsfälle und Geiselnahmen im In- und Ausland mit.
Mit seiner mehr als 25-jährigen Erfahrung als Verhandlungsexperte und einem umfangreichen Ausbildungsspektrum im Bereich Verhandlungsführung und Krisenmanagement berät Thorsten Hofmann in schwierigen und erfolgskritischen Verhandlungsfällen. Zu seinen Kunden zählen Konzerne, Verbände, mittelständische Unternehmen, NGOs, Privatpersonen und politische Parteien. Auf nationaler als auch auf internationaler Ebene.